Alphabet der Heimatkunde
Inhaltsver-
zeichnis:
Geschichte des Bergbaus und der Bleiverhüttung
Bergbau und
Bleiverhüttung in Stolberg
zur Zeit der Früh-
industrialisierung
Industrialisierung und Zeitgeist
Erzabbaugebiete aus einer anderen Sicht
Literatur- und Quellenverzeichnis
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Gerne und nicht ohne Stolz verweist man in Stolberg auf Industrietradition bzw. auf alte Industriekultur; und das völlig zu Recht. Auf Grund einer Vielzahl von günstigen Standortbedingungen entstand in und um Stolberg im 19. Jahrhundert eine der ersten Industrieregionen Deutschlands. Ausschlaggebende Grundlage für die stürmische, frühindustrielle Entwicklung waren lokale Lagerstätten, die einen Abbau von Zink-, Blei- und Eisenerzen sowie Steinkohle erlaubten.
Aufbereitung der Erzgrube Breinigerberg Lithographie von Adrien Chanelle. |
Die beim Rösten von sulfidischen Erzen anfallende Schwefelsäure wurde, zusammen mit dem ebenfalls lokal verfügbaren Kalkstein, zur Herstellung von Soda verwendet. Die Soda wiederum war wichtiger Grund- bzw. Zuschlagstoff für die Glas-, Seifen- und Waschmittelindustrie sowie für die Bleichereien des Textilgewerbes.
Zinkhütte Friedrich Wilhelm Birkengang, Lithographie von Adrien Chanelle. |
Man muss aber nicht neidvoll auf die damalige Epoche zurückblicken, denn die Begriffe Hochtechnologie und Technologieführerschaft sind in Stolberg auch heute noch Realität, insbesondere auf dem Gebiet der Metallverhüttung und -verarbeitung.
Messinggefäße aus der Produktion der Stolberger Kupfermeister, Foto: A.Paff. |
Zink. Eisen, Blei, aller guten Dinge sind drei
Besagter Galmei war im Laufe der Jahrmillionen im
oberflächennahen
Bereich durch natürliche, verwitterungsartige Umbildung
(Metasomatose)
aus einem anderen Erztyp, der sogenannten Schalenblende entstanden.
Die Schalenblende wiederum ist kein Einzelmineral, sondern stellt
eine Mischung mit mehreren anderen Metallen dar. Es besteht aus
den sulfidischen Primärerzen Zinkblende, Bleiglanz und einer
Eisen-Schwefel-Verbindung, dem sogenannten Markasit.
Gleichgültig
ob man das Zinkerz in seiner verwitterten (oxidierten) Form oder
in größeren Tiefen als Primärerz abbaute,
die
geförderten Erzmittel enthielten in stark variierenden
Mengenverhältnissen
immer auch Bleierz, das in mehreren Bleischmelzen verhüttet
wurde.
Erzbergbau zu vor- und frühgeschichtlicher
Zeit
Die Anfänge unserer Metallhüttentradition reichen
weit
zurück. Ähnlich wie viele andere Errungenschaften aus
den Bereichen Kultur und Technik, kam auch die Messingtechnologie
mit der Ausdehnung des Römischen Reiches in den Stolberger
Raum.
Krustiger Galmei mit eingeschlossenem Bleiglanz, Fundort: Hitzberg bei Gressenich. Sammlung u. Foto: F. Holtz |
Blei und Silber in vorindustrieller Zeit
Die Entwicklungen in der Waffentechnik führten in der
beginnenden
Neuzeit zu einer weiteren Erhöhung des Bleibedarfs zur
Herstellung
von Geschosskugeln.
Bleierze und das daraus gewonnene Blei sind im Stolberger Raum zur Zeit der Kupfermeister ein Nebenprodukt der Galmeiförderung und der Messingindustrie gewesen. Das gilt in ähnlicher Weise auch für andere Gegenden, wo Bleierze bei der Silbergewinnung eine Rolle spielten. Vielerorts wurden Bleierze nur deshalb abgebaut und verhüttet, um das darin enthaltene Silber zu gewinnen.
Der wachsende Bedarf an Münzsilber führte zur Entwicklung des Seigerhüttenprozesses, mit dessen Hilfe man den Silbergehalt aus Rohkupfer extrahieren konnte. Hierzu stellte man zunächst eine Kupfer-Blei-Legierung her, wobei sich die beiden Metalle auf Grund unterschiedlicher Schmelzpunkte später wieder trennen ließen. Bedingt durch die gute Löslichkeit von Silber in Bleischmelzen sammelten sich die Silberanteile im Blei und wurden somit dem Kupfer entzogen. Das Silber konnte alsdann in Treiböfen durch Oxidation des Bleis gewonnen werden.
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Sammlung u. Fotos: F. Holtz |
Eine andere Entwicklung der frühen Neuzeit, nämlich die Buchdruckerkunst, sorgte mit der Verwendung von Bleilettern im 15. Jh. nicht nur für einen weiteren Absatzmarkt, sondern verlieh dem Blei eine fast kulturgeschichtliche Bedeutung. Gelegentlich wird behauptet, die Buchdruckerkunst habe mir ihren Bleilettern die Weltgeschichte stärker und nachhaltiger beeinflusst als alles Blei, was aus Gewehren und Kanonen verschossen wurde.
Die vorindustrielle Bleiproduktion fand in Stolberg in mehreren, vergleichsweise kleinen Bleischmelzen statt, die sich allesamt in unmittelbaren Nähe der Erzfelder befanden.
Neben mehreren Zinkhütten entstanden im Zuge der Industrialisierung in den 1840er Jahren auch drei Bleihütten, die ab 1848 zu den großen Stolberger Bergbau- und Metallhüttengesellschaften gehörten. Dies waren:
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bei Büsbach |
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Reste der Bleihütte Münsterbusch um 1920. Privatarchiv: H. Kreitz |
Aufbereitungsanlage der Erzgrube Diepenlinchen. Privatarchiv: W. Hamacher |
Schalenblende mit eingeschlossenem Bleiglanz, Fundort Erzgrube Hammerberg. Sammlung u. Foto: F. Holtz |
Dieses Problem trat nicht nur in Stolberg, sondern weltweit überall dort auf, wo sulfidische Erze (Kupfer, Blei, Silber, Zink) verhüttet wurden. Bei den für die vorindustrielle Zeit typischen kleineren Hüttenbetrieben ließ sich dieses Phänomen und die damit verbundenen Umweltschäden tolerieren. Mit der Errichtung von Großhütten stellte die Schwefeldioxidbelastung um die Mitte des 19. Jahrhunderts auch in Stolberg ein ernsthaftes Problem dar.
In der unmittelbaren Umgebung der Rösthütten war ein Grashalm damals eine Seltenheit, von Büschen und Bäumen ganz zu schweigen. In dieser Situation gelang in Stolberg die Entwicklung des sogenannten Rhenania-Ofens, der auf die speziellen Bedürfnisse der Blendeverhüttung zugeschnitten war und das während des Röstprozesses freiwerdende Schwefeldioxid auffangen konnte. Dieser Ofentyp wurde über mehrere Jahrzehnte weltweit zur Abröstung von Zinkblende eingesetzt. Die Röstgase wurden in Bleikammeranlagen durch Einsprühen von Wasser zu Schwefelsäure verarbeitet.
Sintertopf, Dwight Loyd von Schlippenbach Apparat, Quelle: V. Tafel |
Erzflotation
Das Verfahren der Erzflotation ermöglicht nicht nur eine
höchst effektive Trennung der Erze vom Nebengestein, sondern
auch eine Separierung von innig miteinander verwachsenen Erzen
unterschiedlicher Art wie beispielsweise Zinkblende und Bleiglanz.
Bei diesem Verfahren, das auch Schwimmaufbereitung genannt wird, schweben die zuvor feinkörnig gemahlenen Erzteilchen (im Gegensatz zum Nebengestein) in einem entsprechend präparierten Wasserbad mit Hilfe von Luftbläschen nach oben und sammeln sich an der Wasseroberfläche. Das Flotationsverfahren ist höchst effektiv, setzt aber eine sehr aufwendige Zerkleinerung des Haufwerkes voraus.
Obschon die lokalen Erzgruben im Jahre 1919 aufgegeben worden waren, baute man in Stolberg 1927/28 eine Flotationsanlage, die zunächst zur Nachbehandlung der alten, noch sehr erzhaltigen Teich- u. Haldenschlämme diente. 1933 konnten auf diese Weise noch über 4.000 Tonnen nutzbares Erzkonzentrat gewonnen werden. Von 1933 bis 1942 wurde in zunehmendem Maße auch Haldengrobmaterial zerkleinert und verarbeitet.
Bleiakkumulator. Aus A. Wilke: Die Elektrizität, ihre Erzeugung und Anwendung. Verlag O. Spamer, Leipzig, 1898. |
Verlegung eines Erdkabels. Aus A. Wilke: Die Elektrizität, ihre Erzeugung und Anwendung. Verlag O. Spamer, Leipzig, 1898. |
Bleihütte Binsfeldhammer um 1900. Werksarchiv Berzelius Stolberg |
Auch diese Filteranlagen sind Beispiel dafür, dass man Umweltschutz (nicht nur in der Bleihütte) im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten schon sehr früh praktiziert hat, obwohl es den Begriff "Umweltschutz" damals noch nicht gab.
Batterien
Mit der fortschreitenden Entwicklung der Automobiltechnik setzte
sich der Bleiakkumulator, allgemein als Batterie bezeichnet,
für
Kraftfahrzeuge durch. Etwa 70% des heute erzeugten Bleis findet
in Autobatterien Verwendung. Dieses Einsatzgebiet ist zugleich
ein gutes Beispiel für ein effektives Recycling. Nicht nur
das Blei selbst, sondern alle Bestandteile von Altbatterien, wie
Schwefelsäure und Kunststoffgehäuse, werden
mittlerweile
zu 100% in den Materialkreislauf zurückgegeben. Durch
Hybridtechnologie
oder Elektro- bzw. Solarantriebe im Kraftfahrzeugwesen könnte
der Bleiakkumulator zukünftig noch erheblich an Bedeutung
gewinnen.
Strahlenschutz
Ein weiterer Anwendungsbereich, der sich erst im 20. Jahrhundert
ergab, ist der Strahlenschutz. Auf Grund seiner physikalischen
Eigenschaften eignet sich Blei sehr gut zur Abschirmung radioaktiver
Strahlungen jedweder Art. Ob in der Röntgen- oder Kerntechnik,
Blei ist als "Strahlenbremse" unverzichtbar und zwingende
Voraussetzung zum Schutz von Gesundheit und Leben.
Obwohl die Frühindustrialisierung zu teilweise schlimmen sozialen Verwerfungen führte, erhoffte man sich vom immer weiter fortschreitenden technischen Fortschritt einen Zuwachs des allgemeinen Wohlstandes. Das Entstehen ganzer Industrielandschaften auf Kosten weitgehend unberührter Natur wurde hoffnungsvoll akzeptiert und galt als Ausdruck einer modernen, besseren Welt. Diese Sichtweise war offenbar beeinflusst von einem Erfahrungshorizont, der die Einstellung der Menschen über Jahrtausende geprägt hatte. Bis weit ins 20. Jahrhundert nämlich fühlte man sich der Natur bzw. den oft bedrohlichen Naturgewalten schutzlos preisgegeben. Natur und Naturlandschaften waren eine Selbstverständlichkeit und nicht ein besonders schützenswertes Gut.
Unteres Vichttal im Bereich des heutigen Stadtteils Mühle. |
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Jan-Ravens-Mühle (1548) Aquarell nach Walschaple von G. Dodt, Standort: heutiger Mühlener Markt. |
Vichttal um 1950 mit Blick zum Industriegebiet Münsterbusch. Privatarchiv H. Kreitz |
Mit der stetig fortschreitenden Entwicklung immer neuer Industrielandschaften wurde die allgemeine Gefühlslage langsam und zögerlich von einer Idee beeinflusst, die in der Romantik als intellektuelle Zeitströmung entstanden war. Grenzenloses Glück und vollkommene Glückseligkeit waren, wie man sich vorstellte, nur unter der Voraussetzung harmonischen Einklanges mit der Natur erreichbar. Naturlandschaften standen plötzlich als Inbegriff eines schwärmerisch verklärten Ideals; als Ziel einer wehmütig sentimentalen Sehnsucht, die um 1900 in der Wandervogelbewegung zum bestimmenden Lebensgefühl wurde.
Die heimliche, introvertierte Sehnsucht nach der "heilen Welt" wurde erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts abgelöst durch ein ausgeprägtes Umweltbewusstsein, welches offensiv und mit der Forderung nach systemverändernden Maßnahmen vertreten wurde. Maßgeblichen Einfluss auf die allgemeine Stimmung in den 1970er und 1980er Jahren und auf die nunmehr einsetzenden Diskussionen hatte eine Veröffentlichung des "Club of Rome", einem internationalen Zusammenschluss von Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft.
Diese Veröffentlichung mit dem Titel "Limits to Growth (Grenzen des Wachstums)" basierte auf Modellrechnungen, die an einem stark vereinfachten "Weltmodell" durchgeführt worden waren und zeigte sehr drastisch auf, dass unsere Erde ein weitgehend in sich geschlossenes, sehr begrenztes, aber auch äußerst komplexes System darstellt. Man versuchte erst gar nicht, den Eindruck zu erwecken, dieses System wirklich und in allen Einzelheiten zu verstehen, sondern wies darauf hin, dass die unterschiedlichen Wirkmechanismen mit der ganzen Vielzahl von Verzahnungen und gegenseitigen Abhängigkeiten erstens nur schwer zu überschauen sind und zweitens in einem Modell nur in stark vereinfachter Form darstellbar seien.
Trotz aller systembedingten Unsicherheiten schienen die postulierten Konsequenzen plausibel und wirkten in höchstem Maße beunruhigend. Bei dieser allgemeinen Stimmung mussten sich gerade am Industriestandort Stolberg mit seiner Schwermetallindustrie Auseinandersetzungen und Diskussionen bezüglich des Umweltschutzes ergeben.
Wenn man bedenkt, dass die großen Metallhütten im Stolberger Raum allesamt im zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts entstanden sind, kann man sich rückblickend eigentlich nur wundern, warum die Schwermetallemissionen erst relativ spät zum großen Thema wurden. Diese Frage ist auch deshalb interessant, weil sich das allgemeine Problembewusstsein erst einstellte, nachdem der Kulminationspunkt der Luftverunreinigungen durch Schwermetalle deutlich überschritten war, denn inzwischen waren die meisten Metallhütten nicht mehr in Betrieb.
Bei der Schwermetallbelastung handelt es sich um einen vielschichtigen Komplex, der als überwiegend monokausales Problem dargestellt wurde. Durch diese grobe Vereinfachung, die naheliegend und plausibel erschien, geriet die Stolberger Bleihütte in den Fokus leidenschaftlicher, teilweise auch stark emotional geführter Diskussionen und wurde oftmals als Hauptverursacher lokaler Umweltprobleme dargestellt und wahrgenommen.
Weideflächen zwischen Mausbach und Gressenich. Foto: F. Holtz |
Da die Bleihütte bereits 1846 ihren Betrieb aufgenommen hat, stellt sich natürlich auch die Frage, ob ein sporadisches Verenden von Weidevieh nicht schon früher aufgetreten ist und man die Ursache damals nur noch nicht erkannt hatte. Nun war aber gerade in der Vergangenheit der Verlust einer Kuh für den betroffenen Landwirt so einschneidend, dass er eine solche Dezimierung seines Viehbestandes nicht ohne weiteres verkraften konnte. Wenn derartig gravierende Ereignisse schon zu früherer Zeit gehäuft aufgetreten wären, hätte das auffallen müssen. Demnach konnte man davon ausgehen, dass es sich bei der Gressenicher Krankheit um ein relativ neues Phänomen handelte. Das musste beunruhigend wirken und als drastische Verschlimmerung der vorbelasteten Situation empfunden werden, denn, wenn Kühe sterben, konnte es um die Lebensbedingungen des Menschen auch nicht zum Besten bestellt sein. Zwangsläufig hat man der Bleihütte einen deutlich erhöhten Schadstoffausstoß unterstellt. Dies war auch deshalb naheliegend, weil sich die betroffenen Gebiete östlich der Bleihütte befanden, und man dort auf Grund der vorherrschenden Westwindlagen einen besonders hohen Schwermetallniederschlag vermutete.
Emission und Immission
Aus heutiger, weniger aufgeregter Sicht muss man zunächst
darauf verweisen, dass Emission und Immission zwar in Relation
zueinander stehen, diese Relation jedoch von einer Vielzahl von
Faktoren bestimmt ist. Das heißt, es besteht durchaus ein
Unterschied zwischen der Schadstoffmenge, die von einer Emissionsquelle
(Emittent) an die Umwelt abgegeben wird, und dem Anteil, der
beispielsweise
auf einer Kuhweide ankommt. Dieser Unterschied ist in hohem
Maße
abhängig von den Gegebenheiten, die sich zwischen dem
Emittenten
und dem Immissionsort anzutreffen sind. Eine Veränderung
dieser Gegebenheiten kann demnach bei gleichbleibender Emission
die Immission stark beeinflussen.
Buchenhochwald, wie er östlich der Bleihütte in den 1950er Jahren noch zu finden war. |
Das plötzliche Auftreten des Kuhsterbens muss also nicht unbedingt und ausschließlich von einer erhöhten Schwermetallemission der Bleihütte verursacht gewesen sein, sondern kann durchaus auch noch andere Ursachen gehabt haben. Diese Erkenntnis ist für die betroffenen Bauern und erst recht für die verendeten Kühe nur von begrenztem Wert. Es deutet aber darauf hin, dass naheliegende und allzu einfache Schlussfolgerungen der Komplexität des Themas nicht unbedingt gerecht werden.
In diesem Zusammenhang muss man auch darauf hinweisen, dass die Böden in den betroffenen Bereichen mehr oder weniger durch geogene, d.h. natürlich vorkommende Schwermetallgehalte vorbelastet waren.
Unabhängig von den auslösenden Wirkmechanismen machten die Gressenicher Krankheit und Untersuchungen an "Stolberger Bleikindern" allen Beteiligten unmissverständlich klar, dass es so nicht weitergehen konnte.
Bleihütte Binsfeldhammer um 1980, Foto Berzelius Stolberg. |
Weitere Emissionsquellen
Bezüglich der Schwermetallemission muss noch ein weiterer
Aspekt berücksichtigt werden. Es handelt sich um ein Problem,
das eigentlich nie als ein solches empfunden wurde, das sich
zwischenzeitlich
sozusagen von selbst gelöst hat und dennoch zur
Schwermetallproblematik
in nicht unerheblichem Maße beigetragen hat.
Man wird sich noch entsinnen können, dass rund um die Bleihütte in den Bereichen Bärenstein - Rüst sowie Binsfeld- und Bernardshammer ein großflächiger Abbau von Kalkstein und Dolomit stattfand. Nun waren aber die Kalksteinzüge in unserem Raum in einem hohen Maße vererzt, so dass man, wie bekannt, über Jahrhunderte einen profitablen Bergbau betreiben konnte. Neben verschiedenen Zinklagerstätten bestand die Erzführung u.a. aus Bleierzen, die meist in Form von Bleiglanz vorlagen. Dieser Bleiglanz kam sowohl eng vergesellschaftet mit Zink vor, ließ sich in einzelnen Gängen aber auch als Solitärmineral finden. Die letztere Erscheinungsform war u.a. im Bereich Bärenstein - Rüst zu beobachten. Übrigens leitet sich der Name "Rüst" vom Rösten des lokal anstehenden und um die Mitte des 19. Jahrhunderts hier auch geförderten Bleiglanzes ab.
Radialstrahliger Bleiglanz, Fundort: Steinbruch Rüst. Sammlung u. Foto: F. Holtz |
Schwermetallbelastung der Böden
Die allzu einfachen Schlussfolgerungen verleiten manchmal zu krassen
Fehleinschätzungen der hiesigen Verhältnisse. So ist
beispielsweise die Auffassung gar nicht so selten, die
Schwermetallgehalte
in den Böden seien hauptsächlich und
ausschließlich
durch den Betrieb der Stolberger Metallhütten (Blei und Zink)
verursacht worden. Dies ist eine groteske Verdrehung von Ursache
und Wirkung, denn die Metallhütten konnten in Stolberg
selbstverständlich
nur deshalb entstehen, weil Erzlagerstätten im Boden vorhanden
waren und als Rohstoffbasis genutzt werden konnten.
Der Hüttenbetrieb und die damit verbundene Schwermetallemission hat allerdings zu einer großflächigen Verteilung dieser potentiellen Schadstoffe beigetragen. Die Schwermetallgehalte der Böden sind jedoch in den ehemaligen Erzfeldern bezeichnenderweise um Größenordnungen höher als in erzfreien Gebieten, die auf Grund der vorherrschenden Windrichtung und der Standortnähe den Flugstäuben der Hütten in besonderem Maße ausgesetzt waren. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass gerade die extrem hohen Schwermetallgehalte im Boden nahezu ausschließlich geogener Herkunft sind.
Erzgrube Diepenlinchen, Ölgemälde von Franz Hüllenkremer. |
Ein Grund für die irrige Auffassung, die Schwermetalle seien durch den Hüttenbetrieb in den Boden gelangt, ist sicherlich die oben erwähnte monokausale Sichtweise. Insbesondere im Falle der Bleihütte Binsfeldhammer mag aber auch ein anderer Umstand eine Rolle gespielt haben, der für genau diese unzutreffende Betrachtung eine scheinbare Erklärung liefert. Im Unterschied zu allen anderen industriell betriebenen Metallhütten im Stolberger Raum liegt die Bleihütte in unmittelbarer Nähe der ehemaligen Erzfelder. Normalerweise errichtete man die Hütten ganz bewusst in den nördlichen Teilen des heutigen Stolberg, wo zu frühindustrieller Zeit Steinkohle gefördert wurde. Die Steinkohle wurde sowohl in den Hütten zum Erschmelzen der Erze als auch in den Erzgruben zum Abpumpen der Grubenwässer benötigt. Die Fuhrwerke, die das Erz zur Hütte brachten, nahmen auf dem Rückweg die Steinkohle mit. Insofern hatte die Bleihütte Binsfeldhammer ursprünglich einen nur suboptimalen Standort.
Es mag wie Ironie des Schicksals erscheinen, aber ausgerechnet die Bleihütte Binsfeldhammer hat alle anderen Metallhüttenwerke des Stolberger Raums überlebt und ist auch heute noch in Betrieb, obschon die lokale Erzbasis bereits 1919 mit der Schließung der Mausbacher Erzgrube Diepenlinchen verloren ging. Seit fast 90 Jahren werden also keine Stolberger, sondern nur noch auswärtige Erze verhüttet. Der Zusammenhang zwischen Hütte und Erzlagerstätte ist also seit langer Zeit nicht mehr augenfällig und greifbar. Wenn nun aber Analyseergebnisse von Bodenproben für die unmittelbare Standortumgebung der Bleihütte (wie beispielsweise Brockenberg) extrem hohe Schwermetallgehalte ausweisen, kann dies bei rein formalstatistischer Betrachtungsweise sehr leicht zu Fehlschlüssen führen.
Wie bereits erwähnt, wurden die Schwermetallemissionen der Bleihütte zwischenzeitlich in einem Maße gesenkt, das noch vor wenigen Jahrzehnten als nicht erreichbar betrachtet wurde. Hierzu hat eine völlig neue Verhüttungsmethode, das sogenannte QSL-Verfahren, einen ausschlaggebenden Beitrag geleistet. Zumindest in Fachkreisen gilt die Bleihütte heute aus ökonomischer und insbesondere auch aus ökologischer Sicht als Musterbetrieb. Das nach den beiden Wissenschaftlern Queneau und Schuhmann sowie nach dem Frankfurter Anlagenbauer Lurgi benannte QSL-Verfahren weist neben der erwähnten Reduzierung der Schwermetallemissionen weitere entscheidende Vorteile auf.
QSL-Aggregat. Foto Berzelius, Stolberg. |
Bleihütte um 2005, Foto: Berzelius Stolberg. |
Bezüglich der Umweltbedingungen hat sich in Stolberg vieles, auf manchen Gebieten sogar Erstaunliches getan. Dies gilt allerdings kaum für die Schwermetallbelastung der Böden. Obgleich einige Haldenkörper zwischenzeitlich abgedeckt und saniert sind, hat sich an der Kontaminierung der Böden in den ehemaligen Erzfeldern nichts grundsätzliches verändert. Die Frage ist allerdings, ob dieser Umstand als Problem empfunden und dargestellt werden muss.
Galmeiveichen Foto: F. Holtz |
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Grasnelke |
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Trotz der Schwermetallbelastung lassen sich die ehemaligen Erzabbaugebiete demnach auch positiv darstellen und sind als interessantes Ausflugziel durchaus empfehlenswert. Bedenken muss man hierbei nicht haben, denn schließlich verbietet sich der Verzehr von Wanderproviant mit erd-verschmutzten Händen aus hygienischen Gründen auch anderswo.
Der Vollständigkeit halber soll ganz zum Schluss auf einen weiteren Umstand hingewiesen werden, der diesmal nicht nur für Stolberg, sondern ganz allgemein Gültigkeit hat. Durch die Abschaffung der verbleiten Kraftstoffe sind sehr diffuse Emissionsquellen unschädlich gemacht worden, welche durch Akkumulation mit anderen Faktoren besonders für die Stolberger Verhältnisse schädlich gewesen sind.
BERSCH, W. (1898): Mit Schlägel und Eisen, Reprint: VDI Verlag, Düsseldorf.
BRECHER, A. (1990): Geschichte der Stadt Stolberg in Daten, Beiträge zur Stolberger Geschichte und Heimatkunde, Band 17, Herausgeber: Stolberger Heimat- und Geschichtsverein.
CABOLET (1910): Die neue Erzaufbereitungsanlage der Grube Diepenlinchen bei Stolberg, in: Glückauf - Berg- und Hüttenmännische Zeitschrift, 27. Aug. 1910.
DEININGER, L.E. u. HÖHN R.W. (1993): QSL, die umweltfreundliche Bleigewinnung, Berzelius, Stolberg.
GUSSONE, R. (1964): Untersuchungen und Betrachtungen zur Paragenesis und Genesis der Blei-Zink-Erzlagerstätten im Raume Aachen-Stolberg. - Dissertation TH Aachen, Aachen.
HOLTZ, F. (1989): Zink-Blei-Erze des Stolberger Raumes. - Hrsg. Heimat- und Handwerksmuseum, Stolberg, Nachdruck (überarbeitet) 1996.
HOLTZ, F. (1994): Vom Messing bis zur Großchemie. - Hrsg. Heimat- und Handwerksmuseum, Stolberg.
KASIG, W. (1980): Zur Geologie des Aachener Unterkarbons (Linksrheinisches Schiefergebirge, Deutschland) - Stratigraphie, Sedimentologie und Paläogeographie des Aachener Kohlenkalks und seine Bedeutung für die Entwicklung der Kulturlandschaft im Aachener Raum. - Habilitationsschrift TH Aachen, Aachen.
NEUHAUS-SCHMITZ, G. (1996): Entwicklung und jüngerer Wandel des Industriestandortes Stolberg unter besonderer Berücksichtigung der Schwermetallindustrie und ihrer Umweltproblematik, Staatsexamensarbeit, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
TAFEL, V. (1953): Lehrbuch der Metallhüttenkunde, Verlagsbuchhandlung Hirzel, Leipzig.
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