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Inhaltsver-
zeichnis:

Geschichte des Bergbaus und der Bleiverhüttung

Bergbau und Bleiverhüttung in Stolberg zur Zeit der Früh-
industrialisierung

Blei im 20. Jahrhundert

Industrialisierung und Zeitgeist

QSL - Ein neues Verfahren

Erzabbaugebiete aus einer anderen Sicht

Literatur- und Quellenverzeichnis

 

Startseite Graphiken Kaleidoskop Touristisches

Stolberger Blei.

Geschichte,
Bedeutung,
Umweltaspekte.

Friedrich Holtz

Gerne und nicht ohne Stolz verweist man in Stolberg auf Industrietradition bzw. auf alte Industriekultur; und das völlig zu Recht. Auf Grund einer Vielzahl von günstigen Standortbedingungen entstand in und um Stolberg im 19. Jahrhundert eine der ersten Industrieregionen Deutschlands. Ausschlaggebende Grundlage für die stürmische, frühindustrielle Entwicklung waren lokale Lagerstätten, die einen Abbau von Zink-, Blei- und Eisenerzen sowie Steinkohle erlaubten.

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Aufbereitung der Erzgrube Breinigerberg
Lithographie von Adrien Chanelle.
Die Verfügbarkeit von Dampfmaschinen und Steinkohle ermöglichte in den immer tiefer bauenden Bergwerken eine effektive Wasserhaltung und ließ eine Metallhüttenindustrie entstehen, die sich zur Deckung ihres Energiebedarfes hauptsächlich im Bereich der Kohlefelder (Münsterbusch, Atsch, Birkengang) ansiedelte. Ebenfalls begünstigt durch die Verfügbarkeit von Kohle entstanden im gleichen Bereich auch Glashütten, welche die Quarzsandvorkommen der Gegend als Rohstoffbasis nutzten.

Die beim Rösten von sulfidischen Erzen anfallende Schwefelsäure wurde, zusammen mit dem ebenfalls lokal verfügbaren Kalkstein, zur Herstellung von Soda verwendet. Die Soda wiederum war wichtiger Grund- bzw. Zuschlagstoff für die Glas-, Seifen- und Waschmittelindustrie sowie für die Bleichereien des Textilgewerbes.

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Zinkhütte Friedrich Wilhelm Birkengang, Lithographie von Adrien Chanelle.
Hochtechnologie gestern und heute
Auf vielen Gebieten ergaben sich zur Zeit der Frühindustrialisierung in unserer Region Entwicklungen, die man heute als Hochtechnologie und Technologieführerschaft bezeichnen würde. Die Chemische Fabrik Rhenania beispielsweise galt damals als weltweit produktivste und effektivste Produktionsstätte für die so genannte Leblanc-Soda. Ein weiteres Beispiel ist ein in der Zinkhütte Birkengang entwickelter Industrieofentyp, der bei der Zinkverhüttung eine höchst effiziente Ausnutzung der Wärmeenergie ermöglichte. Dieser Ofen wurde in Deutschland unter dem Namen Birkengangofen bekannt und fand unter der internationalen Bezeichnung "Rhenish Furnace" weltweit Verbreitung.

Man muss aber nicht neidvoll auf die damalige Epoche zurückblicken, denn die Begriffe Hochtechnologie und Technologieführerschaft sind in Stolberg auch heute noch Realität, insbesondere auf dem Gebiet der Metallverhüttung und -verarbeitung.


Messinggefäße aus der Produktion der Stolberger Kupfermeister, Foto: A.Paff.
Die Zeit der Kupfermeister
Wenn man in Stolberg von Industriekultur spricht, so schließt man meist das Messinggewerbe der sogenannten Kupfermeister mit ein, obschon es sich hierbei um eine eindeutig vorindustrielle Epoche gehandelt hat. Spätestens als die Kupfermeister im 18. Jahrhundert den europäischen Messingmarkt monopolartig beherrschten, erreichten die Produktionsmengen Größenordnungen, die sich durchaus mit den später üblichen, industriellen Maßstäben vergleichen lassen. Da Messing eine Legierung der beiden Metalle Kupfer und Zink ist, und man Zink zur damaligen Zeit in seiner metallischen Reinform noch nicht kannte, war man zur Messingherstellung auf einen bestimmten Zinkerztyp angewiesen, den man Galmei nannte.

Zink. Eisen, Blei, aller guten Dinge sind drei
Besagter Galmei war im Laufe der Jahrmillionen im oberflächennahen Bereich durch natürliche, verwitterungsartige Umbildung (Metasomatose) aus einem anderen Erztyp, der sogenannten Schalenblende entstanden. Die Schalenblende wiederum ist kein Einzelmineral, sondern stellt eine Mischung mit mehreren anderen Metallen dar. Es besteht aus den sulfidischen Primärerzen Zinkblende, Bleiglanz und einer Eisen-Schwefel-Verbindung, dem sogenannten Markasit. Gleichgültig ob man das Zinkerz in seiner verwitterten (oxidierten) Form oder in größeren Tiefen als Primärerz abbaute, die geförderten Erzmittel enthielten in stark variierenden Mengenverhältnissen immer auch Bleierz, das in mehreren Bleischmelzen verhüttet wurde.


Sammlung u. Foto: F. Holtz

 

Geschichte des Bergbaus und der Bleiverhüttung

Erzbergbau zu vor- und frühgeschichtlicher Zeit
Die Anfänge unserer Metallhüttentradition reichen weit zurück. Ähnlich wie viele andere Errungenschaften aus den Bereichen Kultur und Technik, kam auch die Messingtechnologie mit der Ausdehnung des Römischen Reiches in den Stolberger Raum.

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Krustiger Galmei mit eingeschlossenem Bleiglanz, Fundort: Hitzberg bei Gressenich.
Sammlung u. Foto: F. Holtz
Wir wissen heute, dass Erzbergbau in unserer Region bereits zu vorrömischer Zeit, also von den hier ansässigen Kelten betrieben wurde. Den Kelten war das Verfahren der Messingherstellung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht bekannt. Sie konnten also nicht den Galmei, wohl aber die anderen Metalle, nämlich Blei und Eisenerze nutzen. Somit erstreckt sich die Geschichte des Erzbergbaus und der Metallurgie in unserer Region über mehrere Jahrtausende.

Blei und Silber in vorindustrieller Zeit
Die Entwicklungen in der Waffentechnik führten in der beginnenden Neuzeit zu einer weiteren Erhöhung des Bleibedarfs zur Herstellung von Geschosskugeln.

Bleierze und das daraus gewonnene Blei sind im Stolberger Raum zur Zeit der Kupfermeister ein Nebenprodukt der Galmeiförderung und der Messingindustrie gewesen. Das gilt in ähnlicher Weise auch für andere Gegenden, wo Bleierze bei der Silbergewinnung eine Rolle spielten. Vielerorts wurden Bleierze nur deshalb abgebaut und verhüttet, um das darin enthaltene Silber zu gewinnen.

Der wachsende Bedarf an Münzsilber führte zur Entwicklung des Seigerhüttenprozesses, mit dessen Hilfe man den Silbergehalt aus Rohkupfer extrahieren konnte. Hierzu stellte man zunächst eine Kupfer-Blei-Legierung her, wobei sich die beiden Metalle auf Grund unterschiedlicher Schmelzpunkte später wieder trennen ließen. Bedingt durch die gute Löslichkeit von Silber in Bleischmelzen sammelten sich die Silberanteile im Blei und wurden somit dem Kupfer entzogen. Das Silber konnte alsdann in Treiböfen durch Oxidation des Bleis gewonnen werden.

Werkbleiprobe und...
...daraus extrahierte Silberperle.
Sammlung u. Fotos: F. Holtz

Eine andere Entwicklung der frühen Neuzeit, nämlich die Buchdruckerkunst, sorgte mit der Verwendung von Bleilettern im 15. Jh. nicht nur für einen weiteren Absatzmarkt, sondern verlieh dem Blei eine fast kulturgeschichtliche Bedeutung. Gelegentlich wird behauptet, die Buchdruckerkunst habe mir ihren Bleilettern die Weltgeschichte stärker und nachhaltiger beeinflusst als alles Blei, was aus Gewehren und Kanonen verschossen wurde.

Die vorindustrielle Bleiproduktion fand in Stolberg in mehreren, vergleichsweise kleinen Bleischmelzen statt, die sich allesamt in unmittelbaren Nähe der Erzfelder befanden.


 

Bergbau und Bleiverhüttung in Stolberg zur Zeit der Frühindustrialisierung

Neben mehreren Zinkhütten entstanden im Zuge der Industrialisierung in den 1840er Jahren auch drei Bleihütten, die ab 1848 zu den großen Stolberger Bergbau- und Metallhüttengesellschaften gehörten. Dies waren:

Bleihütte Binsfeldhammer
Eschweiler Gesellschaft
Bleihütte Luzilia
bei Büsbach
Allianz
Bleihütte Münsterbusch
Stolberger Gesellschaft


Reste der Bleihütte Münsterbusch um 1920. Privatarchiv: H. Kreitz
Während die Bleihütte Luzilia nur bis kurz vor 1860 bestand und die Bleihütte Münsterbusch 1916 ihren Betrieb einstellte, entwickelte sich die Bleihütte Binsfeldhammer zu einer modernen Großhütte und trägt nach der Übernahme durch die Berzelius Metallhüttengesellschaft Duisburg im Jahr 1970 den Namen "Berzelius Hütte". Sie gilt heute als die modernste Bleihütte der Welt.

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Aufbereitungsanlage der Erzgrube Diepenlinchen.
Privatarchiv: W. Hamacher
Entsprechend der wachsenden Produktionskapazitäten und des damit verbundenen steigenden Erzbedarfs einerseits und den neuen technischen Möglichkeiten andererseits, entwickelten sich auch die Erzgruben (insbesondere Breinigerberg und Diepenlinchen) zu leistungsfähigen Großanlagen. Ein gutes Beispiel für die hochmoderne technische Ausrüstung der Stolberger Bergwerke war die 1907 errichtete Aufbereitungsanlage der Erzgrube Diepenlinchen. Diese Anlage, die 257 t Haufwerk pro Tag (Gemenge aus nutzbarem Erz und wertlosem Nebengestein) durchsetzen konnte, galt damals als eine der fortschrittlichsten ihrer Art.

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Schalenblende mit eingeschlossenem Bleiglanz, Fundort Erzgrube Hammerberg.
Sammlung u. Foto: F. Holtz
Rösten der Erze
Mit zunehmender Abbautiefe wechselte der Erztyp von Galmei nach Schalenblende, d.h. die Fördererze lagen nunmehr in ihrer sulfidischen Form vor und mussten vor der Verhüttung geröstet werden. Das hierbei freiwerdende Schwefeldioxyd gelangte zunächst in die Atmosphäre und bildete zusammen mit der Luftfeuchtigkeit Schwefelsäure, die sich bei entsprechenden Wetterlagen niederschlug und die Umwelt in erheblichem Maße belastete.

Dieses Problem trat nicht nur in Stolberg, sondern weltweit überall dort auf, wo sulfidische Erze (Kupfer, Blei, Silber, Zink) verhüttet wurden. Bei den für die vorindustrielle Zeit typischen kleineren Hüttenbetrieben ließ sich dieses Phänomen und die damit verbundenen Umweltschäden tolerieren. Mit der Errichtung von Großhütten stellte die Schwefeldioxidbelastung um die Mitte des 19. Jahrhunderts auch in Stolberg ein ernsthaftes Problem dar.

In der unmittelbaren Umgebung der Rösthütten war ein Grashalm damals eine Seltenheit, von Büschen und Bäumen ganz zu schweigen. In dieser Situation gelang in Stolberg die Entwicklung des sogenannten Rhenania-Ofens, der auf die speziellen Bedürfnisse der Blendeverhüttung zugeschnitten war und das während des Röstprozesses freiwerdende Schwefeldioxid auffangen konnte. Dieser Ofentyp wurde über mehrere Jahrzehnte weltweit zur Abröstung von Zinkblende eingesetzt. Die Röstgase wurden in Bleikammeranlagen durch Einsprühen von Wasser zu Schwefelsäure verarbeitet.


Sintertopf, Dwight Loyd von Schlippenbach Apparat, Quelle: V. Tafel
Die Nutzbarmachung der Röstgase setzte sich bis etwa 1900 auch in der Bleiverhüttung durch. Das feinkörnige Erzkonzentrat wurde in Sintertöpfen nicht nur geröstet, sondern gleichzeitig durch Sinterung (Zusammenbacken) in einen stückigen Zustand überführt, so dass es sich für den Einsatz in Schachtöfen eignete. Die Bleihütte Binsfeldhammer war an der Entwicklung dieser Technologie aktiv beteiligt. Der in den späten 1920er Jahren entstandene Dwight Loyd Sinterofen wurde ursprünglich "Dwight Loyd Schlippenbach Apparat" genannt, von Schlippenbach war Direktor der Bleihütte Binsfeldhammer gewesen. 1956 wurde in Stolberg eine Drucksintermaschine zur Erzröstung installiert. Es war damals die erste Anlage dieser Art nördlich des Äquators.

Erzflotation
Das Verfahren der Erzflotation ermöglicht nicht nur eine höchst effektive Trennung der Erze vom Nebengestein, sondern auch eine Separierung von innig miteinander verwachsenen Erzen unterschiedlicher Art wie beispielsweise Zinkblende und Bleiglanz.

Bei diesem Verfahren, das auch Schwimmaufbereitung genannt wird, schweben die zuvor feinkörnig gemahlenen Erzteilchen (im Gegensatz zum Nebengestein) in einem entsprechend präparierten Wasserbad mit Hilfe von Luftbläschen nach oben und sammeln sich an der Wasseroberfläche. Das Flotationsverfahren ist höchst effektiv, setzt aber eine sehr aufwendige Zerkleinerung des Haufwerkes voraus.

Obschon die lokalen Erzgruben im Jahre 1919 aufgegeben worden waren, baute man in Stolberg 1927/28 eine Flotationsanlage, die zunächst zur Nachbehandlung der alten, noch sehr erzhaltigen Teich- u. Haldenschlämme diente. 1933 konnten auf diese Weise noch über 4.000 Tonnen nutzbares Erzkonzentrat gewonnen werden. Von 1933 bis 1942 wurde in zunehmendem Maße auch Haldengrobmaterial zerkleinert und verarbeitet.


 

Blei im 20. Jahrhundert


Bleiakkumulator. Aus A. Wilke: Die Elektrizität, ihre Erzeugung und Anwendung. Verlag O. Spamer, Leipzig, 1898.
Mit der zu Anfang des 20. Jahrhunderts verstärkt einsetzenden Elektrifizierung eröffneten sich dem uralten Metall Blei ganz neue Anwendungsgebiete. Bereits im 19. Jahrhundert hatte man herausgefunden, dass Blei sich auf Grund seiner elektro-chemischen Eigenschaften zum Bau von Akkumulatoren eignete, mit deren Hilfe man elektrische Energie speichern und bei Bedarf wieder abrufen konnte. Viele Betriebe und Institutionen wie beispielsweise Bahnhöfe oder Fernmeldeämter unterhielten große, mit Bleiakkumulatoren bestückte Batterieräume zur Sicherstellung einer unterbrechungsfreien Stromversorgung. Derartige Einrichtungen sind auch heute noch zum Betrieb von Notbeleuchtungen und ähnlichem im Gebrauch. Für den Bergbau konnten explosionssichere elektrische Grubenlampen entwickelt werden.


Verlegung eines Erdkabels. Aus A. Wilke: Die Elektrizität, ihre Erzeugung und Anwendung. Verlag O. Spamer, Leipzig, 1898.
Ein weiteres, wichtiges und neues Einsatzgebiet war die Ummantelung von Elektrokabeln mit Blei. Während der korrosionsbeständige Bleimantel das Kabelinnere vor Feuchtigkeit schützte, sorgte eine zusätzliche Umwicklung des Kabels für mechanische Stabilität. Kabelkonstruktionen dieser Art konnten als Starkstrom- und Telefonkabel sowohl in der Erde als auch unter Wasser verlegt werden. Obwohl heute überwiegend kunststoffummantelte Kabel hergestellt werden, finden etwa 2% des erzeugten Bleis immer noch in der Kabelindustrie Verwendung.


Bleihütte Binsfeldhammer um 1900.
Werksarchiv Berzelius Stolberg
Klopphengst
Bedeutende Fortschritte auf allen Gebieten der Elektrotechnik ermöglichten auch die Entwicklung einer neuen, bahnbrechenden Filtertechnologie. Durch elektrostatische Aufladung lassen sich selbst feinste Staubpartikel aus einem gasförmigen Medium höchst effektiv absondern. Eine nach diesem Funktionsprinzip arbeitende elektrostatische Filteranlage wurde bereits 1911 in der Bleihütte Binsfeldhammer installiert, zu einer Zeit also, als dieses Verfahrensprinzip noch als neueste und modernste Entwicklung der Technik galt. Eine zweite, deutlich effektivere Anlage ähnlicher Art folgte 1923. Letztere dürfte vielen älteren Stolbergern noch als "Klopphengst" bekannt sein und machte sich in regelmäßigen Zeitabständen durch weithin hallende Schläge bemerkbar, wenn von den Innenwänden der Filterröhren die dort ausgefilterten und anhaftenden Stäube abgeklopft wurden.

Auch diese Filteranlagen sind Beispiel dafür, dass man Umweltschutz (nicht nur in der Bleihütte) im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten schon sehr früh praktiziert hat, obwohl es den Begriff "Umweltschutz" damals noch nicht gab.

Batterien
Mit der fortschreitenden Entwicklung der Automobiltechnik setzte sich der Bleiakkumulator, allgemein als Batterie bezeichnet, für Kraftfahrzeuge durch. Etwa 70% des heute erzeugten Bleis findet in Autobatterien Verwendung. Dieses Einsatzgebiet ist zugleich ein gutes Beispiel für ein effektives Recycling. Nicht nur das Blei selbst, sondern alle Bestandteile von Altbatterien, wie Schwefelsäure und Kunststoffgehäuse, werden mittlerweile zu 100% in den Materialkreislauf zurückgegeben. Durch Hybridtechnologie oder Elektro- bzw. Solarantriebe im Kraftfahrzeugwesen könnte der Bleiakkumulator zukünftig noch erheblich an Bedeutung gewinnen.

Strahlenschutz
Ein weiterer Anwendungsbereich, der sich erst im 20. Jahrhundert ergab, ist der Strahlenschutz. Auf Grund seiner physikalischen Eigenschaften eignet sich Blei sehr gut zur Abschirmung radioaktiver Strahlungen jedweder Art. Ob in der Röntgen- oder Kerntechnik, Blei ist als "Strahlenbremse" unverzichtbar und zwingende Voraussetzung zum Schutz von Gesundheit und Leben.


 

Industrialisierung und Zeitgeist

Obwohl die Frühindustrialisierung zu teilweise schlimmen sozialen Verwerfungen führte, erhoffte man sich vom immer weiter fortschreitenden technischen Fortschritt einen Zuwachs des allgemeinen Wohlstandes. Das Entstehen ganzer Industrielandschaften auf Kosten weitgehend unberührter Natur wurde hoffnungsvoll akzeptiert und galt als Ausdruck einer modernen, besseren Welt. Diese Sichtweise war offenbar beeinflusst von einem Erfahrungshorizont, der die Einstellung der Menschen über Jahrtausende geprägt hatte. Bis weit ins 20. Jahrhundert nämlich fühlte man sich der Natur bzw. den oft bedrohlichen Naturgewalten schutzlos preisgegeben. Natur und Naturlandschaften waren eine Selbstverständlichkeit und nicht ein besonders schützenswertes Gut.

Wandel einer Landschaft:
Unteres Vichttal im Bereich des heutigen Stadtteils Mühle.
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Jan-Ravens-Mühle (1548) Aquarell nach Walschaple von G. Dodt, Standort: heutiger Mühlener Markt.
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Vichttal um 1950 mit Blick zum Industriegebiet Münsterbusch.
Privatarchiv H. Kreitz

Mit der stetig fortschreitenden Entwicklung immer neuer Industrielandschaften wurde die allgemeine Gefühlslage langsam und zögerlich von einer Idee beeinflusst, die in der Romantik als intellektuelle Zeitströmung entstanden war. Grenzenloses Glück und vollkommene Glückseligkeit waren, wie man sich vorstellte, nur unter der Voraussetzung harmonischen Einklanges mit der Natur erreichbar. Naturlandschaften standen plötzlich als Inbegriff eines schwärmerisch verklärten Ideals; als Ziel einer wehmütig sentimentalen Sehnsucht, die um 1900 in der Wandervogelbewegung zum bestimmenden Lebensgefühl wurde.

Die heimliche, introvertierte Sehnsucht nach der "heilen Welt" wurde erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts abgelöst durch ein ausgeprägtes Umweltbewusstsein, welches offensiv und mit der Forderung nach systemverändernden Maßnahmen vertreten wurde. Maßgeblichen Einfluss auf die allgemeine Stimmung in den 1970er und 1980er Jahren und auf die nunmehr einsetzenden Diskussionen hatte eine Veröffentlichung des "Club of Rome", einem internationalen Zusammenschluss von Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft.

Diese Veröffentlichung mit dem Titel "Limits to Growth (Grenzen des Wachstums)" basierte auf Modellrechnungen, die an einem stark vereinfachten "Weltmodell" durchgeführt worden waren und zeigte sehr drastisch auf, dass unsere Erde ein weitgehend in sich geschlossenes, sehr begrenztes, aber auch äußerst komplexes System darstellt. Man versuchte erst gar nicht, den Eindruck zu erwecken, dieses System wirklich und in allen Einzelheiten zu verstehen, sondern wies darauf hin, dass die unterschiedlichen Wirkmechanismen mit der ganzen Vielzahl von Verzahnungen und gegenseitigen Abhängigkeiten erstens nur schwer zu überschauen sind und zweitens in einem Modell nur in stark vereinfachter Form darstellbar seien.

Trotz aller systembedingten Unsicherheiten schienen die postulierten Konsequenzen plausibel und wirkten in höchstem Maße beunruhigend. Bei dieser allgemeinen Stimmung mussten sich gerade am Industriestandort Stolberg mit seiner Schwermetallindustrie Auseinandersetzungen und Diskussionen bezüglich des Umweltschutzes ergeben.

Wenn man bedenkt, dass die großen Metallhütten im Stolberger Raum allesamt im zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts entstanden sind, kann man sich rückblickend eigentlich nur wundern, warum die Schwermetallemissionen erst relativ spät zum großen Thema wurden. Diese Frage ist auch deshalb interessant, weil sich das allgemeine Problembewusstsein erst einstellte, nachdem der Kulminationspunkt der Luftverunreinigungen durch Schwermetalle deutlich überschritten war, denn inzwischen waren die meisten Metallhütten nicht mehr in Betrieb.

Bei der Schwermetallbelastung handelt es sich um einen vielschichtigen Komplex, der als überwiegend monokausales Problem dargestellt wurde. Durch diese grobe Vereinfachung, die naheliegend und plausibel erschien, geriet die Stolberger Bleihütte in den Fokus leidenschaftlicher, teilweise auch stark emotional geführter Diskussionen und wurde oftmals als Hauptverursacher lokaler Umweltprobleme dargestellt und wahrgenommen.


Weideflächen zwischen Mausbach und Gressenich. Foto: F. Holtz
Gressenicher Krankheit
Einer der Auslöser für die krisenhafte Zuspitzung der Lage war die sogenannte Gressenicher Krankheit, ein zunächst rätselhaftes Kuhsterben, das vorwiegend im Bereich Gressenich, Mausbach und Werth auftrat. Als Erklärung wurde angenommen, dass die verendeten Kühe auf den Weiden Grünfutter gefressen hatten, das durch Flugstäube der Bleihütte schwermetallkontaminiert war.

Da die Bleihütte bereits 1846 ihren Betrieb aufgenommen hat, stellt sich natürlich auch die Frage, ob ein sporadisches Verenden von Weidevieh nicht schon früher aufgetreten ist und man die Ursache damals nur noch nicht erkannt hatte. Nun war aber gerade in der Vergangenheit der Verlust einer Kuh für den betroffenen Landwirt so einschneidend, dass er eine solche Dezimierung seines Viehbestandes nicht ohne weiteres verkraften konnte. Wenn derartig gravierende Ereignisse schon zu früherer Zeit gehäuft aufgetreten wären, hätte das auffallen müssen. Demnach konnte man davon ausgehen, dass es sich bei der Gressenicher Krankheit um ein relativ neues Phänomen handelte. Das musste beunruhigend wirken und als drastische Verschlimmerung der vorbelasteten Situation empfunden werden, denn, wenn Kühe sterben, konnte es um die Lebensbedingungen des Menschen auch nicht zum Besten bestellt sein. Zwangsläufig hat man der Bleihütte einen deutlich erhöhten Schadstoffausstoß unterstellt. Dies war auch deshalb naheliegend, weil sich die betroffenen Gebiete östlich der Bleihütte befanden, und man dort auf Grund der vorherrschenden Westwindlagen einen besonders hohen Schwermetallniederschlag vermutete.

Emission und Immission
Aus heutiger, weniger aufgeregter Sicht muss man zunächst darauf verweisen, dass Emission und Immission zwar in Relation zueinander stehen, diese Relation jedoch von einer Vielzahl von Faktoren bestimmt ist. Das heißt, es besteht durchaus ein Unterschied zwischen der Schadstoffmenge, die von einer Emissionsquelle (Emittent) an die Umwelt abgegeben wird, und dem Anteil, der beispielsweise auf einer Kuhweide ankommt. Dieser Unterschied ist in hohem Maße abhängig von den Gegebenheiten, die sich zwischen dem Emittenten und dem Immissionsort anzutreffen sind. Eine Veränderung dieser Gegebenheiten kann demnach bei gleichbleibender Emission die Immission stark beeinflussen.


Industrielandschaft im Stolberger Tal um 1970 mit der Bleihütte im Vordergrund.
Werksarchiv Berzelius Stolberg


Buchenhochwald, wie er östlich der Bleihütte in den 1950er Jahren noch zu finden war.
Einige Zeit vor dem Auftreten der Gressenicher Krankheit hat es in der Tat östlich der Bleihütte eine starke Landschaftsveränderung gegeben. Der gesamte Buchenhochwald im Bereich des Jungfernsteines und die sich anschließenden Fichtenbestände sind nämlich gegen Ende der 1950er Jahren und im Verlauf der 1960er Jahre gefällt worden. Auf den freiwerdenden Flächen entstand nach und nach der Steinbruch Binsfeldhammer, der zwischenzeitlich seinen Betrieb längst wieder eingestellt hat. Während der Wald in früherer Zeit eine Filterfunktion hatte, stand nach dessen Abholzung der ungehinderten Verbreitung der Schadstoffe nichts mehr im Wege.

Das plötzliche Auftreten des Kuhsterbens muss also nicht unbedingt und ausschließlich von einer erhöhten Schwermetallemission der Bleihütte verursacht gewesen sein, sondern kann durchaus auch noch andere Ursachen gehabt haben. Diese Erkenntnis ist für die betroffenen Bauern und erst recht für die verendeten Kühe nur von begrenztem Wert. Es deutet aber darauf hin, dass naheliegende und allzu einfache Schlussfolgerungen der Komplexität des Themas nicht unbedingt gerecht werden.

In diesem Zusammenhang muss man auch darauf hinweisen, dass die Böden in den betroffenen Bereichen mehr oder weniger durch geogene, d.h. natürlich vorkommende Schwermetallgehalte vorbelastet waren.

Unabhängig von den auslösenden Wirkmechanismen machten die Gressenicher Krankheit und Untersuchungen an "Stolberger Bleikindern" allen Beteiligten unmissverständlich klar, dass es so nicht weitergehen konnte.


Bleihütte Binsfeldhammer um 1980,
Foto Berzelius Stolberg.
Ein ganzes Bündel von Maßnahmen führte letztlich dazu, dass die Schwermetallemissionen innerhalb von 10 Jahren um etwa 70 % reduziert werden konnten. Unter anderem durch die Einführung eines neuen Verhüttungsverfahrens (QSL) konnten weitere und ganz entscheidende Verbesserungen erzielt werden. Letztlich hat sich die Schwermetallemission der Bleihütte bis heute um über 95 % reduziert. Selbstverständlich hat dieses beieindruckende Ergebnis seinen Preis. Es konnte nur mit gewaltigen Anstrengungen und durch Einsatz von Technik, von Innovation und letztlich auch von Finanzmitteln erreicht werden. Seit dem Jahre 2000 beispielsweise tätigte die Stolberger Bleihütte umweltrelevante Investitionen in Höhe von 25 Millionen €.

Weitere Emissionsquellen
Bezüglich der Schwermetallemission muss noch ein weiterer Aspekt berücksichtigt werden. Es handelt sich um ein Problem, das eigentlich nie als ein solches empfunden wurde, das sich zwischenzeitlich sozusagen von selbst gelöst hat und dennoch zur Schwermetallproblematik in nicht unerheblichem Maße beigetragen hat.

Man wird sich noch entsinnen können, dass rund um die Bleihütte in den Bereichen Bärenstein - Rüst sowie Binsfeld- und Bernardshammer ein großflächiger Abbau von Kalkstein und Dolomit stattfand. Nun waren aber die Kalksteinzüge in unserem Raum in einem hohen Maße vererzt, so dass man, wie bekannt, über Jahrhunderte einen profitablen Bergbau betreiben konnte. Neben verschiedenen Zinklagerstätten bestand die Erzführung u.a. aus Bleierzen, die meist in Form von Bleiglanz vorlagen. Dieser Bleiglanz kam sowohl eng vergesellschaftet mit Zink vor, ließ sich in einzelnen Gängen aber auch als Solitärmineral finden. Die letztere Erscheinungsform war u.a. im Bereich Bärenstein - Rüst zu beobachten. Übrigens leitet sich der Name "Rüst" vom Rösten des lokal anstehenden und um die Mitte des 19. Jahrhunderts hier auch geförderten Bleiglanzes ab.

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Radialstrahliger Bleiglanz,
Fundort: Steinbruch Rüst.
Sammlung u. Foto: F. Holtz
Die Mächtigkeit der Erzgänge variierte zwischen wenigen Millimetern bis zum Dezimeterbereich. Beim späteren Abbau von Kalkstein wurde also zwangsläufigerweise auch Bleiglanz gefördert. Beim Anfahren eines ergiebigen Ganges wurden große und auffällige Erzstücke verladen und der Bleihütte zugeführt. Die Erzfüllung von weniger mächtigen Gängen sowie Bleiglanz, der dem Kalkstein anhaftete, verblieb bei dieser Verfahrensweise im Haufwerk (Gestein mit anhaftendem Erz) und wurde nicht ausgesondert. Das war und ist eigentlich kein Problem, denn der Bleiglanz ist in seiner natürlichen, grob-stückigen Form weitgehend für den Menschen gesundheitlich ungefährlich. Dies ändert allerdings grundlegend, wenn mit Bleierzen kontaminierter Kalkstein, wie im Falle von Bärenstein und Rüst, in Brennöfen zu gebranntem Kalk oder Zement weiterverarbeitet wird. Dann nämlich können sich erhebliche Bleiemissionen ergeben, die davon abhängig sind, mit welchem Kalkstein die Öfen gerade befüllt wurden. Es handelte sich also nicht um eine kontinuierliche, zeitlich gleichbleibende Emission, jedoch kann durchaus unterstellt werden, dass immer einmal wieder Emissionswerte erreicht wurden, die zur Schwermetallbelastung des Stolberger Raumes signifikant beigetragen haben. Auch hier zeigt sich, dass die damals vorherrschende monokausale Sichtweise nicht haltbar ist.

Schwermetallbelastung der Böden
Die allzu einfachen Schlussfolgerungen verleiten manchmal zu krassen Fehleinschätzungen der hiesigen Verhältnisse. So ist beispielsweise die Auffassung gar nicht so selten, die Schwermetallgehalte in den Böden seien hauptsächlich und ausschließlich durch den Betrieb der Stolberger Metallhütten (Blei und Zink) verursacht worden. Dies ist eine groteske Verdrehung von Ursache und Wirkung, denn die Metallhütten konnten in Stolberg selbstverständlich nur deshalb entstehen, weil Erzlagerstätten im Boden vorhanden waren und als Rohstoffbasis genutzt werden konnten.

Der Hüttenbetrieb und die damit verbundene Schwermetallemission hat allerdings zu einer großflächigen Verteilung dieser potentiellen Schadstoffe beigetragen. Die Schwermetallgehalte der Böden sind jedoch in den ehemaligen Erzfeldern bezeichnenderweise um Größenordnungen höher als in erzfreien Gebieten, die auf Grund der vorherrschenden Windrichtung und der Standortnähe den Flugstäuben der Hütten in besonderem Maße ausgesetzt waren. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass gerade die extrem hohen Schwermetallgehalte im Boden nahezu ausschließlich geogener Herkunft sind.


Erzgrube Diepenlinchen, Ölgemälde
von Franz Hüllenkremer.
Wenn man es genau nehmen will, hat die Bodenbelastung in den Erzfeldern auch eine von Menschen gemachte Komponente. Denn durch den Erzabbau ist es zu Umlagerungen und Umschichtungen von (auch erzhaltigem) Gesteinsmaterial gekommen. Die Bodenverhältnisse wurden also durch den Menschen verändert, was jedoch nichts an der ursprünglich geogenen Natur der Schwermetalle ändert. Durch den Bergbau ergab sich auch keine grundsätzlich andere Situation, denn die Erzgänge standen bereits in der naturbelassenen Landschaftsform an der Tagesoberfläche an. Sie haben sowohl Umweltbedingungen als auch Vegetationsformen beeinflusst, lange bevor der Mensch sich anschickte, die Erze abzubauen und zu nutzen.

Ein Grund für die irrige Auffassung, die Schwermetalle seien durch den Hüttenbetrieb in den Boden gelangt, ist sicherlich die oben erwähnte monokausale Sichtweise. Insbesondere im Falle der Bleihütte Binsfeldhammer mag aber auch ein anderer Umstand eine Rolle gespielt haben, der für genau diese unzutreffende Betrachtung eine scheinbare Erklärung liefert. Im Unterschied zu allen anderen industriell betriebenen Metallhütten im Stolberger Raum liegt die Bleihütte in unmittelbarer Nähe der ehemaligen Erzfelder. Normalerweise errichtete man die Hütten ganz bewusst in den nördlichen Teilen des heutigen Stolberg, wo zu frühindustrieller Zeit Steinkohle gefördert wurde. Die Steinkohle wurde sowohl in den Hütten zum Erschmelzen der Erze als auch in den Erzgruben zum Abpumpen der Grubenwässer benötigt. Die Fuhrwerke, die das Erz zur Hütte brachten, nahmen auf dem Rückweg die Steinkohle mit. Insofern hatte die Bleihütte Binsfeldhammer ursprünglich einen nur suboptimalen Standort.

Es mag wie Ironie des Schicksals erscheinen, aber ausgerechnet die Bleihütte Binsfeldhammer hat alle anderen Metallhüttenwerke des Stolberger Raums überlebt und ist auch heute noch in Betrieb, obschon die lokale Erzbasis bereits 1919 mit der Schließung der Mausbacher Erzgrube Diepenlinchen verloren ging. Seit fast 90 Jahren werden also keine Stolberger, sondern nur noch auswärtige Erze verhüttet. Der Zusammenhang zwischen Hütte und Erzlagerstätte ist also seit langer Zeit nicht mehr augenfällig und greifbar. Wenn nun aber Analyseergebnisse von Bodenproben für die unmittelbare Standortumgebung der Bleihütte (wie beispielsweise Brockenberg) extrem hohe Schwermetallgehalte ausweisen, kann dies bei rein formalstatistischer Betrachtungsweise sehr leicht zu Fehlschlüssen führen.


 

QSL - Ein neues Verfahren

Wie bereits erwähnt, wurden die Schwermetallemissionen der Bleihütte zwischenzeitlich in einem Maße gesenkt, das noch vor wenigen Jahrzehnten als nicht erreichbar betrachtet wurde. Hierzu hat eine völlig neue Verhüttungsmethode, das sogenannte QSL-Verfahren, einen ausschlaggebenden Beitrag geleistet. Zumindest in Fachkreisen gilt die Bleihütte heute aus ökonomischer und insbesondere auch aus ökologischer Sicht als Musterbetrieb. Das nach den beiden Wissenschaftlern Queneau und Schuhmann sowie nach dem Frankfurter Anlagenbauer Lurgi benannte QSL-Verfahren weist neben der erwähnten Reduzierung der Schwermetallemissionen weitere entscheidende Vorteile auf. 


QSL-Aggregat. Foto Berzelius, Stolberg.
Der in der Bleihütte als Konzentrat angelieferte Bleiglanz ist ein sogenanntes sulfidisches Erz, also eine chemische Verbindung von Blei und Schwefel. Eine Verhüttung ist erst dann möglich, wenn man dem Erz den Schwefel entzieht. Dieser Vorgang wird in der Metallurgie Rösten genannt, bedeutet aber letztlich nichts anderes, als dass der Schwefel verbrannt wird. Zur Verbrennung benutzt man reinen Sauerstoff, der von der zur Hütte gehörenden Linde-Anlage geliefert wird. Und bei jedem Verbrennungsvorgang wird dabei Wärme und demzufolge Energie frei. Diese in der Oxidationszone des QSL-Aggregats freiwerdende Energie wird zur Stromerzeugung genutzt und deckt etwa 70% des gesamten Energiebedarfs der Hütte ab. Das besondere bei diesem Verbrennungsprozess ist, dass keinerlei CO2, sondern Schwefeldioxid entsteht, das zu 99,9 % aufgefangen, und zur Herstellung von Schwefelsäure genutzt wird. Die Schwefelsäure ist im Gegensatz zu CO2 ein begehrter Grundstoff und findet in der chemischen Industrie sowie in Beizbädern und als Batteriesäure breite Verwendung. Der Reinheitsgrad der in Stolberg hergestellten Schwefelsäure erlaubt auch deren Einsatz bei der Herstellung von Düngemitteln sowie in der Kunststoffindustrie.


Bleihütte um 2005,
Foto: Berzelius Stolberg.
Im Unterschied zu den früher üblichen Röstanlagen entsteht bereits in der Oxidationszone des QSL-Reaktors nicht nur Bleioxid, sondern elementares, metallisches Blei. Diese Röstreaktion verläuft (im Gegensatz zu früheren Verfahren) absolut CO2-frei. Nur die Umwandlung des verbleibenden Bleioxids zu Blei in der anschließenden Reduktionszone führt letztlich zur Bildung von CO2. Der QSL-Prozess erlaubt also nicht nur eine CO2-freie Energiegewinnung, sondern ebenfalls eine extrem CO2-arme Verhüttung der Erze. Angesichts der heutigen Klimadiskussionen ist dieser verfahrensbedingte Vorteil von hoher Bedeutung.


 

Erzabbaugebiete aus einer anderen Sicht

Bezüglich der Umweltbedingungen hat sich in Stolberg vieles, auf manchen Gebieten sogar Erstaunliches getan. Dies gilt allerdings kaum für die Schwermetallbelastung der Böden. Obgleich einige Haldenkörper zwischenzeitlich abgedeckt und saniert sind, hat sich an der Kontaminierung der Böden in den ehemaligen Erzfeldern nichts grundsätzliches verändert. Die Frage ist allerdings, ob dieser Umstand als Problem empfunden und dargestellt werden muss.


Galmeiveichen
Foto: F. Holtz
Der Genuss von Beerenfrüchten und Pilzen aus den Randgebieten dieser Flächen ist zugegebenermaßen nicht empfehlenswert. Andererseits stehen gerade die extrem belasteten Flächen heute fast ausnahmslos unter Naturschutz, weil sich hier eine ganz spezielle, an Schwermetallkontamination angepasste Pflanzengesellschaft entwickeln konnte. Diese sogenannte Galmeiflora gilt als weltweit einzigartige Besonderheit. Der bekannteste Vertreter dieser Pflanzenfamilie ist das gelb-blühende Galmeiveilchen, welches in der Tat ausschließlich in unserer Region vorkommt.

Weitere Charakterarten der Galmeiflora (Zeichnungen H. Kaußen).

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Grasnelke
Taubenkropf

Trotz der Schwermetallbelastung lassen sich die ehemaligen Erzabbaugebiete demnach auch positiv darstellen und sind als interessantes Ausflugziel durchaus empfehlenswert. Bedenken muss man hierbei nicht haben, denn schließlich verbietet sich der Verzehr von Wanderproviant mit erd-verschmutzten Händen aus hygienischen Gründen auch anderswo.

Der Vollständigkeit halber soll ganz zum Schluss auf einen weiteren Umstand hingewiesen werden, der diesmal nicht nur für Stolberg, sondern ganz allgemein Gültigkeit hat. Durch die Abschaffung der verbleiten Kraftstoffe sind sehr diffuse Emissionsquellen unschädlich gemacht worden, welche durch Akkumulation mit anderen Faktoren besonders für die Stolberger Verhältnisse schädlich gewesen sind.


 

Literatur und Quellen

BERSCH, W. (1898): Mit Schlägel und Eisen, Reprint: VDI Verlag, Düsseldorf.

BRECHER, A. (1990): Geschichte der Stadt Stolberg in Daten, Beiträge zur Stolberger Geschichte und Heimatkunde, Band 17, Herausgeber: Stolberger Heimat- und Geschichtsverein.

CABOLET (1910): Die neue Erzaufbereitungsanlage der Grube Diepenlinchen bei Stolberg, in: Glückauf - Berg- und Hüttenmännische Zeitschrift, 27. Aug. 1910.

DEININGER, L.E. u. HÖHN R.W. (1993): QSL, die umweltfreundliche Bleigewinnung, Berzelius, Stolberg.

GUSSONE, R. (1964): Untersuchungen und Betrachtungen zur Paragenesis und Genesis der Blei-Zink-Erzlagerstätten im Raume Aachen-Stolberg. - Dissertation TH Aachen, Aachen.

HOLTZ, F. (1989): Zink-Blei-Erze des Stolberger Raumes. - Hrsg. Heimat- und Handwerksmuseum, Stolberg, Nachdruck (überarbeitet) 1996.

HOLTZ, F. (1994): Vom Messing bis zur Großchemie. - Hrsg. Heimat- und Handwerksmuseum, Stolberg.

KASIG, W. (1980): Zur Geologie des Aachener Unterkarbons (Linksrheinisches Schiefergebirge, Deutschland) - Stratigraphie, Sedimentologie und Paläogeographie des Aachener Kohlenkalks und seine Bedeutung für die Entwicklung der Kulturlandschaft im Aachener Raum. - Habilitationsschrift TH Aachen, Aachen.

NEUHAUS-SCHMITZ, G. (1996): Entwicklung und jüngerer Wandel des Industriestandortes Stolberg unter besonderer Berücksichtigung der Schwermetallindustrie und ihrer Umweltproblematik, Staatsexamensarbeit, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.

TAFEL, V. (1953): Lehrbuch der Metallhüttenkunde, Verlagsbuchhandlung Hirzel, Leipzig.

 

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