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Einleitend sei erwähnt, dass zu den Aufgaben des Museums Zinkhütter Hof neben neben der Darstellung von Industrie- und Wirtschaftsgeschichte auch die Vermittlung von sozialgeschichtlichen Aspekten gehört.
Die ursprünglich in England entstandene und auf Kontinentaleuropa im 19. Jahrhundert übergreifende, unter dem Schlagwort „Industrielle Revolution“ bekannt gewordene Entwicklung wurde neben der Entstehung neuer Technologien und Fertigungsformen auch von äußerst drastischen sozialen bzw. gesellschaftlichen Umwälzungen begleitet.
Die Frühindustrialisierung erreichte im zweiten Viertel des 19. Jh. auch den Großraum Aachen, Stolberg, Eschweiler. Mit dem Abbau von Steinkohle und Erzen sowie einer Vielzahl von Glas- und Metallhütten (Eisen, Blei, Zink) entstand in diesem Gebiet eine Industrielandschaft, die als erstes und ältestes, zusammenhängendes Industrierevier Deutschlands gelten kann.
Ausschlaggebende Grundlage hierfür waren lokale, bauwürdige Lagerstätten, die einen Abbau von Zink-, Blei- und Eisenerzen sowie Steinkohle erlaubten. Verbunden mit dieser Entwicklung war eine Proletarisierung, Verelendung und letztlich auch eine Entmündigung sowie Ausbeutung der Arbeiterklasse durch das zu Reichtum gekommenen Großbürgertum.
Architektur des Zinkhütter Hofes
Das Bauensemble des in den späten 1830er Jahren als Fensterglashütte errichteten Hofes ist ein einzigartiges, authentisches Zeitdokument frühester Industriearchitektur und lässt durchaus Rückschlüsse auf das Verhältnis zwischen Unternehmensleitung und Belegschaft erkennen.
Museum Zinkhütter Hof,
mit nach Osten hin offenem Innenhof.
Von links nach rechts:
„Potterie“ zur Herstellung von Glashäfen,
Verwaltungsvilla und
Produktionsgebäude.
Die klar gegliederte Anordnung der einzelnen Baugruppen zueinander erinnert stark an die klassische, traditionelle Bauform von Gutshof- bzw. Herrenhausanlagen. Die herausgehobene und dennoch integrative Lage der "Villa" auf der Zentralachse des Bauensembles unterstreicht auch den absoluten Führungsanspruch der damaligen Werksleitung. Ideen zur Entwicklung flacher Hierarchiestrukturen konnten zu dieser Zeit und bei diesen Gegebenheiten schwerlich entstehen. Als Mitarbeiter konnte man bestenfalls auf ein Unternehmen mit patriarchischem Führungsstil hoffen.
Die Anordnung der einzelnen Gebäude nimmt eine Entwicklungstendenz vorweg, die etwa 70 Jahre später mit der Zeche Zollern bei Dortmund gewissermaßen einen krönenden Abschluss fand. Besagte Anlage gilt als prototypisches Gesamtkunstwerk der damaligen Industriearchitektur. Die imposante Erscheinungsform sollte den Führungsanspruch des Unternehmens sowohl gegenüber der Konkurrenz als auch gegenüber den Mitarbeitern visualisieren. Die spiegelsymmetrische Gebäudeanordnung ähnelte, so empfanden und berichteten zeitgenössische Betrachter, eher einem Schlosshof als einer Industrieanlage.
Panorama der Zeche Zollern Abb. aus Glückauf - Berg- und Hüttenmännische Zeitschrift Jahrgang 1905.
Wohnverhältnisse als Spiegel ehemaliger Gesellschaftsstrukturen
Die in unserer Region im 19. Jh. einsetzende Industrialisierung mit dem damit verbundenen Bedarf an zusätzlichen, auswärtigen Arbeitskräften führte zu einem deutlichen Anstieg der Bevölkerungszahl. Viele Betriebe errichteten Werkssiedlungen, um die dringend benötigten Facharbeiter dauerhaft an das Unternehmen zu binden. Die Mehrzahl der zugezogenen, nicht zur Stammbelegschaft gehörenden Arbeiterfamilien waren allerdings gezwungen, im vorhandenen Baubestand Wohnung zu nehmen.
Hierzu gehörten u.a. auch die Betriebsgebäude der ehemaligen Kupfer- und Tuchmacherhöfe. Der hier geschaffene Wohnraum hatte allerdings in vielen Fällen slum- artigen Charakter.
Seifenhof in der Stolberger Altstadt um 1900.
Mit der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert einsetzenden Entstehung und Entwicklung der Neustadt, wo Häuserzeilen in bester Gründerzeitarchitektur entstanden, ging eine spürbare Vernachlässigung der Altstadt einher. Wohlhabende, bürgerliche Familien verließen in zunehmendem Maße den Altstadtbereich u. wandten sich der entstehenden Neustadt zu, wobei der freiwerdende Wohnraum von nachziehenden Arbeiterfamilien belegt wurde. Hierdurch bildeten sich in ganzen Teilbereichen der Altstadt Wohnstrukturen, die heute als soziale Brennpunkte bezeichnet werden.
Arbeitsbedingungen
Im Museum Zinkhütter Hof ist eine Vielzahl von Arbeitsprozessen dokumentiert, die im Laufe eines langen Berufslebens ernste und schwerwiegende gesundheitliche Schäden verursachten.
Feuchte Umgebung
und verkrampfte Körperhaltung
Zu den meisten Kupferhöfen gehörten mit Wasserkraft
betriebene Hammerwerke zur Verarbeitung des Messings. Durch
die Nähe des spritzenden Aufschlagwassers ergaben sich
feucht-kalte Arbeitsbedingungen, die zu Gichtleiden führten.
Kontrakturen der Gliedmaßen waren häufig Folge des
ausdauernden Krummsitzens vor den Hämmern.
Hammerknechte im Untersten Hof , Quelle: Privatarchiv Schleicher.
Durch Einsatz von Reduziermaschinen wurde der zur Herstellung von Nähmaschinennadeln erforderliche Stahldraht durch ein Stößelpaar auf etwa zwei Drittel der Nadellänge zu einem dünneren Schaft ausgearbeitet (kalt ausgeschmiedet). Die in der Ausstellung gezeigten Reduziermaschinen fertigten sieben bis zehn Rohlinge pro Minute.
Durch das Hämmern der Stößel auf den Stahldraht entstand eine Lärmbelastung von 110 bis 130 Dezibel, was einem Schalldruckpegel entspricht, der in etwa 20 Meter Entfernung von einem laufenden Düsentriebwerk auftritt. Dieser oberhalb der Schmerzgrenze liegende Geräuschpegel führte bei den Stellern häufig zu extremer Schwerhörigkeit.
Reduziermaschine, Zinkhütter Hof.
Belastungen
durch Luftverschmutzung
Die Arbeiter in den Schmelz- bzw. Gießhallen der
Kupferhöfe (Ofenknechte) wurden häufig bereits im
Alter von
12 Jahren als Ofenjungen eingestellt. Da sie den Dämpfen der
Messingschmelze ausgesetzt waren, traten im Laufe ihres langen
Berufslebens durch das Einatmen der Metalldämpfe
häufig
Lungenkrankheiten auf.
Beim Schleifen von Nähmaschinennadeln führte der dabei anfallende Schleifstaub zu schwerer Silikose. Dem Vernehmen nach hatte man an diesem Arbeitsplatz eine Lebenserwartung von weniger als 40 Jahren. Dies war der Grund dafür, dass die Schleifer ursprünglich Spitzenverdiener in einer Nadelfabrik waren. Das Gesundheitsproblem konnte letztlich mit Hilfe von Absaugvorrichtungen gelöst werden, was allerdings für die Schleifer mit erheblichen Lohneinbußen verbunden war.
Kinderarbeit
Die Beschäftigung von Kindern war seit Alters her durchaus an der Tagesordnung. Während das Hüten von Vieh meist den Knaben vorbehalten war, mussten Mädels sich regelmäßig im Haushalt nützlich machen (siehe Abbildung weiter unten).
Zur Zeit der frühen Industrialisierung erreichte die Kinderarbeit einen völlig neuen, einen erschreckende Größenordnung. Neben den bereits erwähnten 12jährigen Ofenjungen war Kinderarbeit in der Stolberger Glasindustrie weit verbreitet.
Besonders schlimm dürfte es gewesen sein, wenn man kleine Kinder in besonders enge Felsspalten oder Abbaustollen schickte, wo selbst kleinwüchsige Hauer keinen Platz hatten und wo man den Kindern körperlich harte Arbeit abverlangte.
Zusammenfassung
Trotz aller Probleme, welche im späten 19. und auch noch im 20 Jahrhundert auftraten, sollte man nicht vergessen, dass die Industrialisierung und insbesondere der Bergbau in all seinen Ausprägungen (Erze, Kohle, Gesteine, Salz etc.) die Entwicklung der Technik seit Urzeiten und letztlich auch den allgemeinen Wohlstand bis in die jüngere Vergangenheit erst möglich gemacht hat. Man denke nur an den Wiederaufbau nach dem 2. Weltkrieg und an das sich daran anschließende Wirtschaftswunder.
Abschließend sei noch erwähnt, dass sich die Europäische Union (EU) aus der Montanunion entwickelt hat. Auch nicht vergessen sollte man die noch Mitte des Jahrhunderts allgemein übliche Redewendung, der Kamin müsse rauchen, wenn man gutes Geld wolle.
Ausstellungen im Zinkhütter Hof als Abriss regionaler Industriegeschichte:
Mit Volldampf in eine neue Zeit