Inhalt:
Industriedenkmal Zinkhütter Hof
Zur Architektur des Zinkhütter Hofes
Entstehung des Zinkhütter Hofes
Wohnverhältnisse und Urbanisierung
Ursprüngliche Funktion der Arbeiterhäuser
Zinkhütter Hof, Zeitzeuge der Frühindustrialisierung
Die Ausstellung als Abriss regionaler Industriegeschichte
Alphabet der
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Der von der Societè Charleroy gegründete und in den späten 1830er Jahren als Fensterglashütte errichtete Zinkhütter Hof ist ein bemerkenswertes Bauensemble der frühindustriellen Zeit. Der besondere Wert dieser Anlage ergibt sich u.a. aus der wirtschaftshistorischen Relevanz des Standortes. Der Zinkhütter Hof gehörte nämlich zu einem Industriekomplex mit breit gestreuter Fertigungspalette, welcher seinerseits Teil eines Industriegürtels gewesen ist, der sich von Aachen über Stolberg bis nach Eschweiler erstreckte und mit Fug und Recht als erste zusammenhängende Industrielandschaft auf deutschem Boden gelten kann. Darüber hinaus bieten sowohl Gesamtarchitektur als auch Teile der Ausstellung des Zinkhütter Hofes wichtige Aspekte zur Kulturgeschichte.
Im September 1996 wurde das Museum für Industrie-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte für den Raum Aachen in Stolberg, Zinkhütter Hof e.V. (kurz: Museum Zinkhütter Hof) eröffnet. Ursprünglich startete der Museumsbetrieb mit zwei Ausstellungsbereichen, nämlich Stolberger Zink und Aachener Nadel. Beide Abteilungen erzählen mit einer Reihe bestens dokumentierter Exponate regionale Wirtschafts- und Industriegeschichte.
Wenige Jahre später, nämlich 2005, wurde im Souterrain der zentralen, ehemaligen Ofenhalle die Messingabteilung eröffnet. Hier findet sich ein Abriss der lokalen Messing-Geschichte, welche in frühgeschichtlicher (römischer) Zeit begann und sich mit der frühneuzeitlichen Epoche der Kupfermeister fortsetzte und im 19. Jahrhundert nahtlos in die Industrialisierung einmündete.
Eine tiefgreifende Veränderung ergab sich im Jahr 2018 mit der neu eingerichteten Ausstellung “Turbo, Traffic, Transport”, wo spektakuläre Exponate aus dem Bereich Verkehr und Fahrzeugbau gezeigt werden (u.a. Oldtimer aus der Zeit um 1900). Mit dieser Dauerausstellung wird dem Umstand Rechnung getragen, dass in Aachen ein bedeutendes Zentrum des Fahrzeugbaus mit den Firmen Fafnir, Cudell, Büssing, Scheibler, Mannesmann-Mulag ( Abkürzung für Motoren und Lastwagen AG), Goossens, Lochner und Talbot entstehen konnte.
Aber auch heute ist Fahrzeug- und Motorenbau in Aachen ganz aktuell.
Man denke nur an die Entwicklung der Eloktromobilität in den
Gebäuden der ehemaligen Firma Talbot. Ein weiteres Beispiel ist
die 1978 gegründete FEV (Forschungsgesellschaft für
Energietechnik und Verbrennungsmotoren), die sich sich gegenwärtig
auch mit der Wasserstofftechnologie beschäftigt.
Zusammenfassend und abschließend sei noch erwähnt, dass die
industrie- und wirtschaftshistorischen Besonderheiten von Aachen mit
der Ausstellung “Turbo, Traffic, Transport” und auch die
von Stolberg mit der Messingherstellung gebührend und kompetent
dargestellt wird.
Baugeschichtliches Umfeld
Mit fortschreitender Industrialisierung und Technisierung entstanden im 19. Jh. allenthalben Bauwerke und Bauformen, welche technische Funktionalität und künstlerische Gestaltung im Stil des damaligen Zeitgeschmacks zu verbinden suchten. Als typisches Beispiel wäre hier das Eisenbahnwesen mit seinen imposanten Bahnhöfen, Brücken- und Tunnelportalen zu nennen.
Die durchaus repräsentative Architektur von Eisenbahnbauten ist sicherlich auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass das Reisen mit der Eisenbahn nicht nur als Möglichkeit schneller Personenbeförderung diente, sondern vom wohlhabenden Großbürgertum in zunehmenden Maße auch als gesellschaftliches Ereignis unternommen und wahrgenommen wurde.
Auch industrielle Produktionsanlagen wurden mit ähnlichem Gestaltungsanspruch geplant und errichtet. Man denke bspw. an den im Bergbau üblichen Ausbau von Stolleneingängen oder an die mächtigen Malakowtürme.
Bilder bitte anklicken | |
Stolleneingang, Bildquelle: Bersch, W. (1898) |
Malakowturm, Erzgrube Mechernich – Schafbergschacht, Foto: Norbert Knauf, Heimatverein Rescheid e.V. |
Einige bezeichnende Beispiele frühindustrieller Zweckarchitektur im Stolberger Raum sind der Zinkhütter Hof, die 1845 gegründete und in den 1930er Jahren abgerissene Zinkhütte Friedrich Wilhelm Birkengang, die ehemalige Schachtanlage der Grube Atsch sowie die Aufbereitungsanlage der Erzgrube Diepenlinchen.
Zinkhütte Birkengang; Lithographie von Adrien Chanelle |
Grube Atsch, Foto: F. Holtz |
Aufbereitungsanlage Diepenlinchen Archiv W. Hamacher |
Von der Zinkhütte Birkengang gibt es eine Lithographie von Adrien Chanelle, in welcher die Verhältnisse möglicherweise etwas idealisierend, vielleicht sogar romantisierend dargestellt sind. Dennoch lässt die hier gezeigte Baugruppe das Streben des Erbauers nach klarer Gliederung und nach einem fast ästhetisch wirkenden Gesamtbild unschwer erkennen.
Nicht unbedingt spektakulär, aber von durchaus hoher entwicklungsgeschichtlicher Bedeutung ist der ehemalige Förderturm der Grube Atsch (nahe der Kreuzung Sebastianusstr. - Würselener Str. gelegen). Dieses Bauwerk kann als Vorstufe der später allgemein üblichen, mächtigen „Malakow-Türme“ gelten.
Die 1907 erbaute Aufbereitungsanlage der Erzgrube Diepenlinchen ist, ähnlich wie viele andere Industriebauten um und nach 1900 auch, vom dekorativen Stil der spät-historistischen Phase beeinflusst (Repräsentationsarchitektur). Wenn man bedenkt, dass diese Anlage damals nicht nur in Deutschland als eine der fortschrittlichsten ihrer Art galt, scheinen technologischer Fortschritt und Gebäudeausführung nicht so recht zueinander zu passen. Wie in vielen anderen Fällen in der Geschichte der Industrialisierung handelte es sich aus heutiger Sicht bei dieser Anlage um traditionalistisch verbrämte Spitzentechnologie.
Zur Architektur des Zinkhütter Hofes
Nicht ganz so groß wie die Zinkhütte Birkengang oder wie die Erzgrube Diepenlinchen, dafür aber komplett erhalten, ist ein anderes, zumindest für Deutschland einzigartiges und authentisches Zeitdokument frühester Industriearchitektur, nämlich das Bauensemble des Zinkhütter Hofes.
Ursprünglich ist der Zinkhütter Hof als Fensterglashütte errichtet worden, die allerdings nur wenige Jahrzehnte als solche in Betrieb war und deren Gebäude Anfang des 20. Jh. von der benachbarten Zinkhütte Münsterbusch übernommen wurden.
Die klar gegliederte Anordnung der einzelnen Baugruppen zueinander lässt an die klassische, traditionelle Bauform von Gutshof- bzw. Herrenhausanlagen denken. Die herausgehobene und dennoch integrative Lage der "Villa" auf der Zentralachse des Bauensembles visualisiert und unterstreicht den absoluten Führungsanspruch der damaligen Werksleitung. Ideen zur Entwicklung flacher Hierarchiestrukturen konnten zu dieser Zeit und bei diesen Gegebenheiten schwerlich entstehen.
Historistische Bauformen
Insbesondere im östlichen und westlichen Seitenflügel besticht das Innere des Hauptgebäudes durch die beeindruckende Backsteinarchitektur der Pfeiler- bzw. Tragwerkskonstruktion. Dieses Gestaltungskonzept kann als schönes Beispiel für die Verwendung historistischer Bauformen auch schon in der frühesten Phase der Industriearchitektur gelten. Die neogotischen Spitzbögen aus unverputztem Ziegelmauerwerk, welche sowohl die Fabrikationshalle als auch die Emporen überspannen, sind geradezu kennzeichnend für die frühhistoristische Stilepoche.
Pfeiler-
bzw. Tragwerkskonstruktionen. |
Kennzeichnend für den Historismus war das Zurückgreifen auf Stilrichtungen vergangener Zeiten, was letztlich dazu führte, dass mit Neoromanik, Neogotik, Neorenaissance, Neoklassizismus etc. ein zeitgleicher Stilpluralismus entstand. Die hieraus resultierende Vielgestaltigkeit der Bauformen ist Ausdruck einer einheitlichen Grundidee gewesen. Historismus kann als Idealisierung und Bewunderung früherer Geschichtsepochen verstanden werden. Geisteshaltung und Wertmaßstäbe, die für bestimmte Epochen als charakteristisch und kennzeichnend galten, waren Grundlage einer Symbolik, die sich häufig auf den Verwendungszweck der nachempfundenen Bauwerke bezog.
Schul- bzw. Universitätsbauten bspw. wurden in Anspielung auf die frühneuzeitliche Entfaltung von Gelehrsamkeit und Humanismus häufig im Stil der Neorenaissance ausgeführt. Als geradezu exemplarisch hierfür kann in Stolberg das ehemalige Goethe-Gymnasium am Kaiserplatz gelten. Die Verwendung neogotischer Spitzbogenarchitektur im Zinkhütter Hof dürfte sich auf das Selbstbewusstsein der mittelalterlichen Städte und Stände beziehen.
Ehemaliges
Goethe-Gymnasium, Fotos: Axel Pfaff |
Mit der Architektur der Gründerzeit ist im Späthistorismus die ursprünglich hehre Idee zu lediglich ahistorischer Dekoration geworden, die dem Geltungs- bzw. Repräsentationsbedürfnis des Großbürgertums entgegenkam. In Verkennung der ursprünglichen Intension wird Historismus heute häufig als lediglich nachahmende Stilepoche ohne eigene Kreativität wahrgenommen.
Entstehung des Zinkhütter Hofes
Während der zum Bau der Hütte erforderliche Erwerb von Grund und Boden im Oktober 1837 abgeschlossen war, zeigt ein Situationsplan des Industriegebietes Münsterbusch vom Mai 1838 lediglich die Fabrikationshalle, die in der Legende (Nr. 12) als „die neue Glaß Hütte“bezeichnet wird.
Eine im August 1839 von der Gemeinde Büsbach aufgenommene Supplemetkarte verzeichnet bereits die gesamte Anlage mit der Fabrikhalle, der zweieinhalb-geschossigen Villa und dem der eigentlichen Hütte gegenüber liegenden, langgezogenen Baukörper. SCHREIBER, K. und H. (2008): Im Schatten des langen Hein, Seite 124
Im 20. Jh. wurde letzterer bis kurz vor Eröffnung des Museumsbetriebes (1996) als Wohnanlage für Mitarbeiter der „Stolberger Zink“ genutzt und galt über Jahrzehnte (fälschlicherweise) als eines der ältesten Beispiele für die frühe Typologie von Arbeitersiedlungen.
Quellen: SCHREIBER, K. und H. (2008): Im Schatten des langen Hein, Seite 124
Beim Betreten des Innenhofes drängt sich geradezu die Vorstellung einer früheren, regen Betriebsamkeit auf; mit schweißtreibender Arbeit im Hüttengebäude und unbeschwertem Kindergeschrei in den gegenüber liegenden Arbeiterwohnungen. Diese Verhältnisse würden durchaus den Gepflogenheiten eines damaligen Glashüttenbetriebes entsprechen.
Beim Zu- und Aufbereiten des Gemenges bzw. der Glasschmelze erreichte man mit den damals verfügbaren technischen Mitteln und Methoden eine nur begrenzte Gleichförmigkeit in der Prozessführung. Abweichungen in den Prozessparametern mussten letztlich durch entsprechende Variation der Verweilzeiten des Gemenges bzw. der Schmelze in den Glasöfen kompensiert werden. Hierdurch ergaben sich für die Glasarbeiter unregelmäßige und nur ungenau vorhersehbare Schichtanfangszeiten und relativ lange Bereitschaftsphasen. Somit konnte es nur von Vorteil sein, wenn die Mitarbeiter in unmittelbarer Nähe der Betriebsstätten wohnten.
Hinzu kam, dass in der Stolberger Glasindustrie häufig auswärtige Arbeiter beschäftigt wurden, die als ausgesprochene Spezialisten über entsprechende Kenntnisse, Erfahrungen und Geschicklichkeit verfügten. Auch die erste Glashütte, die von einigen Kupfermeistern 1790 im Oberstolberger Hammerfeld als Johannishütte gegründet wurde, konnte nur mit Hilfe von Spezialisten betrieben werden, die man hauptsächlich aus dem Schwarzwald (Guggenau und St. Blasien) sowie aus dem Saarland und Belgien angeworben hatte. Zu diesen auswärtigen Spezialisten gehörten die Brüder Peter und Josef Siegwart und deren Schwager Franz Josef Schmidt. Diese Glasbläserfamilie übernahm bereits 1792 die Johannishütte und sollte im Laufe der nächsten Jahre und Jahrzehnte das Glashüttengewerbe in Stolberg dominieren.
Obschon das Wohnen in unmittelbarer Nähe der Arbeitsstätte für einen Glashüttenbetrieb ganz charakteristisch gewesen ist, verdeutlicht das Konzept des "werksnahen" Wohnens nicht nur in der Glashüttenindustrie eine Zeitströmung, die mit dem Beginn der Industrialisierung ganz allgemein zu beobachten war. Die Bereitstellung von Wohnraum seitens der Unternehmen war zur Deckung des Arbeitskräftebedarfs allgemein üblich, notwendig und für die Industrialisierung geradezu kennzeichnend. Bei der Anwerbung und bei der Bindung der zum Betrieb der Industrieanlagen erforderlichen Arbeitskräfte spielte die Bereitstellung von Wohnungen in Form ausgedehnter Werkssiedlungen eine entscheidende Rolle.
Angesichts fehlender Möglichkeiten eines Berufspendelverkehrs einerseits und der großen Anziehungskraft industrieller Arbeitsplätze andererseits, kam es zu umfangreichen und großräumigen Umsiedlungsbewegungen. Industriestandorte wurden zu Ballungsgebieten, weil erstens Arbeitskräfte gebraucht wurden, und weil zweitens die Leute mehr oder weniger bereitwillig kamen, da sie sich eine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse versprachen.
Der Zuzug von Arbeitskräften auch aus weiter entfernten Regionen spiegelt sich beispielsweise in dem mundartlichen Ausdruck "Hunnese" wider. Hiermit waren Leute gemeint, die aus dem Hunsrück zugezogen waren und in Stolberg Arbeit gefunden hatten. Der Begriff wurde später als Bezeichnung für Glasarbeiter gebräuchlich, fand aber auch als scherzhaftes Schimpfwort für etwas begriffsstutzige bzw. wenig angepasste Menschen Verwendung.
Noch in den 1950er Jahren war der Ausdruck "Hunnese" und insbesondere eine hierauf bezugnehmende, scherzhafte Alliteration (gleicher Anlaut in aufeinander folgenden Wörtern oder betonten Silben) stadtbekannt: "Hänger hondert Hunnese Hüser hange hondert Hääre Hämde". Oder: Hinter hundert "Hunnese" Häusern hängen hundert Herrenhemden.
Mit "Hunnese Hüser" war eine zur Firma Siegwart gehörende, aus zwei Häuserblöcken bestehende Wohnanlage gemeint, die sich am Verbindungsweg zwischen Kohlbusch und Hamm, der heutigen Spinnereistraße, direkt an der damals zum Münsterbusch führenden Bahnlinie befinden.
Durch die Zuwanderung von Arbeitskräften ergab sich in den neu entstehenden Industrieregionen ein starker Anstieg der Bevölkerungszahlen; die Städte dehnten sich aus, neue Stadtteile und teilweise neue, selbständige Städte entstanden. Dieses Phänomen wird heute mit dem Schlagwort Urbanisierung (Verstädterung) belegt und veränderte den Charakter ganzer Regionen.
Ein gutes Beispiel hierfür ist der Standort des Zinkhütter Hofes; der Ortsteil Münsterbusch nämlich, der zur damals noch eigenständigen Gemeinde Büsbach gehörte. Auch hier ergab sich eine nennenswerte Wohnbebauung erst als Folge einer örtlich stark konzentrierten, breit diversifizierten Industrieentwicklung. Ähnliche Verhältnisse lagen im damals zu Eilendorf gehörenden Stadtteil Atsch vor.
Der rapide Bevölkerungszuwachs musste natürlich die vorhandenen Infrastrukturen der Städte überfordern und die Zusammenballung von Menschenmassen war bezüglich der hygienischen Verhältnisse äußerst problematisch. Es kam zu teilweise "slumartigen" Wohn- und Siedlungsstrukturen.
Arbeiter, die mit ihren Familien Platz in einer der neu entstandenen Werkssiedlungen fanden, konnten sich glücklich schätzen, da die Wohnverhältnisse hier vergleichsweise komfortabel waren. Typischerweise gehörte zu jeder Werkswohnung ein Gartenstück, welches zum Gemüseanbau und auch zur Freizeitgestaltung genutzt werden konnte. Häufig entwickelte sich innerhalb der Werkssiedlungen ein ausgeprägtes Zusammengehörigkeitsgefühl mit entsprechenden Sozialstrukturen, wodurch die Bindung der dort wohnenden Arbeitskräfte an das Unternehmen weiter gefördert wurde.
Angesichts der Gepflogenheit des "werksnahen" Wohnens in früheren Glashütten sowie des üblichen Vorhaltens von Wohnraum seitens der Unternehmen in frühindustrieller Zeit und letztlich auch auf Grund der Tatsache, dass in den frühen 1990er Jahren noch Arbeiterfamilien der Zinkhütte in der langgezogenen Häuserzeile des Zinkhütter Hofes wohnten, wurde eine entsprechende Nutzung auch für die frühe Zeit dieser Anlage zunächst als Selbstverständlichkeit unterstellt.
Beim Um- bzw. Ausbau der Arbeiterhäuser zum Forum Zinkhütter Hof und der damit verbundenen teilweisen Entkernung des Baukörpers traten bautechnische und konstruktive Merkmale zu Tage, die eine ursprüngliche Verwendung des Gebäudes zu Wohnzwecken ausschließen.
Foto: F. Holtz
Es stellte sich nämlich heraus, dass der Baukörper ursprünglich nicht aus Einzelhäusern bestand, die durch geschlossene Quer- bzw. Giebelmauern komplett voneinander getrennt waren. Sowohl im Unter- als auch im Obergeschoss waren die insgesamt sieben Trakt-Segmente durch rundbogige, offenbar türlose Durchgänge miteinander verbunden. Im Untergeschoss befanden sich in allen Zwischenwänden je zwei Durchgänge, die sich zu beiden Seiten den längsseitigen Außenmauern direkt anschlossen. Im Obergeschoss war je ein Durchgang pro Zwischenwand angelegt und auf Grund der Dachneigung niedriger ausgeführt.
Vermauerte Durchgänge (Erd- u. Obergeschoss). |
Freigelegte Durchgänge im Erdgeschoss. |
Bilder
bitte anklicken Fotos: Zinkhütter Hof |
Fernerhin waren Konstruktion und Auslegung der Geschossdecke zwischen Parterre und erster Etage um Größenordnungen überdimensioniert, wenn bei der Planung und Errichtung des Gebäudes das Ziel der Wohnraumbeschaffung im Vordergrund gestanden hätte. Dies bezieht sich sowohl auf die Abmessungen der verwendeten Eichenbalken als auch die Dichte ihrer Anordnung.
Nussbaum, N. (siehe Literaturverzeichnis) weist u.a. auf nachträgliche Änderungen in der Befensterung des Baukörpers hin, die ebenfalls als Beleg für eine Nutzungswandlung des Gebäudes gelten können. In allen Trakt-Segmenten wurden zwei der jeweils drei Halbrundfenster in der Weise modifiziert, dass unter Beibehaltung der ursprünglichen Breite Rechteckfenster mit erheblich größerer Höhenausdehnung entstanden. Lediglich das Mittelfenster blieb unverändert erhalten.
Foto: F. Holtz
Es fällt weiterhin auf, dass sich alle Obergeschossfenster mit ihrer Unterkante nur wenig oberhalb der Geschossdecke befinden, ein für Wohnzwecke nicht nur ungewöhnlicher, sondern ausgesprochen unglücklicher Umstand. Die zur adäquaten Belichtung des Obergeschosses völlig unzureichende Größe der ursprünglichen Halbrundfenster deutet ebenfalls nicht auf eine Nutzung des originären Baukörpers als Wohnanlage hin.
Unter Berücksichtigung aller bautechnischen Eigenarten wird man wohl eine ursprünglich gewerbliche Nutzung für diesen Baukörper annehmen müssen. Mit dieser Erkenntnis verbindet sich natürlich sofort die Frage nach der ursprünglichen Nutzungsart dieses Baukomplexes. Auf Grund der anzunehmenden gewerblichen Nutzung und der unmittelbaren örtlichen Nähe zum Hüttengebäude wird man unterstellen können, dass es sich bei den "Arbeiterhäusern" zunächst um einen Hilfsbetrieb gehandelt hat, der mit der Glasproduktion in direkter Beziehung stand.
Das Erschmelzen des Gemenges zur zähflüssigen, verarbeitungsfähigen Glasmasse erfolgte in sogenannten Häfen. Hierbei handelte es sich um große, dickwandige Tongefäße, die von den Glasfabriken häufig in Eigenproduktion hergestellt wurden. Diese Häfen benötigten mehrere Monate lange Trocknungszeiten, bevor sie in der Glasfabrikation verwendet werden konnten. Das Überschreiten einer gewissen Restfeuchte hätte beim Brennen bzw. Erhitzen zum Bersten der Häfen geführt.
In diesem Zusammenhang sei nochmals auf die ursprünglichen Halbrundfenster des Obergeschosses verwiesen, die auf Grund ihrer Größe und Anordnung zur Wohnraumnutzung völlig ungeeignet waren. Zur Belüftung des Dachgeschosses und zur Trocknung von Glashäfen jedoch waren die alten Halbrundfenster nicht nur hinreichend, sondern in hohem Maße funktional.
Bezüglich der Erstverwendung dieses Gebäudes spricht Nußbaum von einem "Trockenhaus der Häfen-Herstellung", wobei durchaus auch vorstellbar (wenn nicht gar wahrscheinlich) ist, dass im unteren Bereich die Häfen nicht nur gelagert und getrocknet, sondern auch hergestellt (geformt) wurden.
Das hohe Gewicht der Glashäfen in Verbindung mit der Notwendigkeit einer langen Lagerzeit in einem überdachten, gut gelüfteten Raum könnte eine Erklärung für die außergewöhnlich stabile Konstruktion besagter Geschossdecke liefern. Wenn man nämlich als ursprünglichen Bauzweck die Errichtung einer werkseigenen Poterie annimmt, wären alle bautechnischen Ungereimtheiten ausgeräumt. In diesem Fall wären die Glashäfen im Untergeschoss hergestellt und im Obergeschoss zwecks Nachtrocknung gelagert worden.
Der Zeitversatz zwischen Hüttengründung und Errichtung der Poterie kann durch die nicht unwahrscheinliche Annahme begründet werden, dass die Hütte ihre Häfen zunächst nicht selbst hergestellt, sondern von außen bezogen hat.
Das nunmehr als Poterie postulierte Bauwerk entspricht in Form und Gestalt durchaus der üblichen Industriearchitektur der damaligen Zeit. In der zur gleichen Zeitepoche gehörenden Zinkhütte Birkengang beispielsweise hat man ganz ähnliche, langgezogene Gebäudezeilen errichtet, die auch hier nicht als Wohnhäuser, sondern als Erzlager genutzt wurden.
Das für die Industrialisierung typische Wohnen in werkseigenen Siedlungen traf also im Falle des Zinkhütter Hofes erst zu, nachdem die Anlage um 1900 von der Münsterbuscher Zinkhütte St. Heinrich übernommen worden war.
Trotz der Neubewertung der historischen Situation muss man auf ein Anschauungsbeispiel für frühindustrielle Werkssiedlungen nicht verzichten. Innerhalb weniger Minuten ist die Siedlungsanlage "Schafberg" fußläufig erreichbar, welche zur Spiegelglashütte Münsterbusch gehörte. Die in den 1850er Jahren entstandene Baugruppe verdeutlicht sowohl das Prinzip des "werksnahen" Wohnens im Glashüttenbetrieb als auch die allgemein übliche, großangelegte Schaffung von Wohnraum seitens der Unternehmen in frühindustrieller Zeit. Hinsichtlich der Größenordnung wäre noch zu vermerken, dass von der ursprünglichen Gesamtanlage nur der Kernbereich erhalten ist.
Quellen NUSSBAUM, N. (2010) Seiten 229ff
Der Zinkhütter Hof ist mit seinem eindrucksvollen Gebäudeensemble nicht nur ein hervorragendes Beispiel frühindustrieller Zweckarchitektur, sondern liegt auch in einem Umfeld, welches mit Fug und Recht als Zentralpunkt deutscher Frühindustrialisierung gelten kann.
Neben der bereits erwähnten Spiegelglashütte Münsterbusch befanden sich in unmittelbarer Nachbarschaft des Zinkhütter Hofes weitere, ebenfalls in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstandene Industrieanlagen:
Der nördlich gelegene Ortteil Atsch war Standort einer weiteren Zinkhütte (Steinfurt), der Steinkohlegruben Atsch und Probstei sowie der Chemischen Fabrik Rhenania. Ähnlich lagen die Verhältnisse im oberen Bereich der östlich gelegenen Talflanke (Birkengang) wo sich u.a. die Steinkohlegrube Christine und die Zinkhütte Friedrich Wilhelm befanden. Die zum Betrieb besagter Metallhütten erforderlichen Erze (hauptsächlich Zink und Blei) baute man im Süden von Stolberg, im Bereich Breinig, Mausbach, Gressenich ab.
Dieser in unmittelbarer Nähe von Stolberg gelegene Industriekomplex gehörte zu einem Industriegürtel, der sich von Aachen über Stolberg bis nach Eschweiler erstreckte und als Ursprung der deutschen Industrieentwicklung gelten kann. Somit befindet sich das Industriemuseum Zinkhütter Hof an richtiger und authentischer Stelle, nämlich genau dort, wo die Industrialisierung in Deutschland ihren Anfang nahm.
Das augenfälligste Exponat und gleichzeitig fast schon Wahrzeichen des Museums Zinkhütter Hof ist ein gewaltiges Schwungrad mit einem stattlichen Durchmesser von mehr als zehn Metern. Das Gewicht des äußeren, für das Trägheitsmoment ausschlaggebenden Radkranzes beträgt etwa 50 Tonnen.
Das im Außenbereich, auch im Vorbeifahren kaum zu übersehende Industriemonument, hat sowohl lokale als auch thematische Bezüge. Es ist bis 1991 im unmittelbar gegenüber der Straße gelegenen Walzwerk der Zinkhütte Münsterbusch im Einsatz gewesen. Ob Putzeimer, Gießkannen, Badewannen oder Zinkornamentik, ein großer Teil der in der Zinkabteilung des Museums gezeigten Exponate sind aus gewalztem Zinkblech hergestellt worden.
Ausstellungen im Zinkhütter Hof als Abriss regionaler Industriegeschichte:
Mit Volldampf in eine neue Zeit