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Naturideal der Romantik und Lebensverhältnisse in Stolberg
Landschaftsgärten im Stolberger Raum
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Zum „Tag des offenen Denkmals 2011“ bot die Stolberg-Touristik
geführte Begehungen im sonst nicht zugänglichen Schleicher-Park an, der im 19. Jh. von der Kupfermeisterfamilie Schleicher als attraktiver Landschaftsgarten angelegt wurde.
Unterster Hof, Foto: Axel Pfaff.
Dankenswerterweise wurden diese Begehungen von dem als Stadtführer und ausgewiesene Lokalhistoriker bekannten Stolberger Ehepaar Katharina und Helmut Schreiber durchgeführt.
Aus diesem Anlass und passend zum Motto des diesjährigen Denkmaltages
Romantik, Realismus,
Revolution.
Das 19. Jahrhundert.
scheint es geboten, an die frühere Gartenarchitektur und an die Sichtweise der Romantik zu erinnern, deren Nachwirkungen gerade im Stolberg des 19. Jahrhunderts von Bedeutung gewesen sind.
Anmerkung: In den folgenden Ausführungen werden ausschließlich Abbildungen gezeigt, zu deren Verwendung mir dankenswerterweise eine explizite Genehmigung erteilt wurde. Natürlich kann hieraus kein Recht auf eine wie auch immer geartete Weiterverwendung abgeleitet werden. Bezüglich der weiteren im Text erwähnten Abbildungen muss auf Grund unklarer Nutzungsrechte auf einschlägige Suchmaschinen verwiesen werden. |
Gartenarchitektur in Stolberg
Die wirtschaftlich äußerst erfolgreichen Kupfermeister legten in und um Stolberg nicht nur eine Vielzahl von Kupferhöfen an, sondern schufen auch Gartenanlagen, die den Zeitgeschmack der jeweiligen Entstehungsepoche deutlich reflektierten.
Kupferhof Grünenthal, Foto: Axel
Pfaff
Barockgärten
Passend zum Stil der im 18. Jh. errichteten, repräsentativen
Kupferhöfe (z.B Grünenthal
und Rosental)
legten die
Kupfermeister prunkvolle Barockgärten an. Streng geometrisch
angelegte Beete, geradlinig zurechtgestutzte Hecken und kunstvoll
beschnittene Bäume sowie stark akzentuierte, auf das
Herrenhaus zulaufende Sichtachsen, die den Wohntrakt als Mittelpunkt
der Anlage betonten, waren Ausdruck eines allumfassenden
Machtempfindens, das auch den Anspruch auf Beherrschung und
Zügelung der Natur einschloss. Selbst in den
Wirtschaftsgärten wurden Nutzgehölze häufig
als geometrisierte Spalierobstplantagen angelegt.
Einer der schönsten Barockgärten in Stolberg, der von dem Künstler Roland Mertens in einer Radierung nachempfunden wurde, gehörte zum Kupferhof Grünenthal und befand sich hinter dem Herrenhaus im Bereich des heutigen Kaiserplatzes.
Der oben erwähnte allumfassende Machtanspruch entsprach durchaus den Vorstellungen der im 18. Jh. absolutistisch regierenden, europäischen Fürsten- und Herrscherhäusern. Die barocke Prunkentfaltung wurde von den mode- und selbstbewussten Kupfermeistern als Ausdruck ihres Selbstverständnisses bereitwillig aufgenommen. Hierbei wird man den Kupfermeistern jedoch schwerlich einen absolutistischen Machtanspruch, sondern lediglich ein ausgeprägtes Repräsentationsbedürfnis unterstellen können.
Es mag uns heute sehr überraschen, aber der repräsentative Charakter der Kupferhofanlagen dürfte z.T. durch die protestantische Glaubensauffassung und namentlich durch die kalvinistische Prädestinationslehre erklärbar sein.
Repräsentatives Herrenhaus der
Kupferhofanlage Rosental, Foto. Axel Pfaff.
Übergang
zur Romantik
Die später folgende Stilepoche der Romantik war u.a. dadurch
geprägt, dass man die Schöpfung und die Natur zum
allumfassenden Ideal erhob (Literatur, Malerei, Musik). Diese
Auffassung war stark beeinflusst durch die pantheistische Vorstellung,
Welt und Natur seien eine „Ausdehnung Gottes“
(Gleichsetzung von Gott und Natur).
Die Begriffe Waldeinsamkeit, Naturzauber sowie Blaue Blume stehen nahezu synonymhaft für diese Stilrichtung. Grundidee und Lebensgefühl der Romantik finden in dem Zitat „Eins zu sein mit allem, was lebt, in seliger Selbstvergessenheit wiederzukehren ins All der Natur...“ von Johann Christian Friedrich Hölderlin deutlichen Ausdruck.
Landschaftsmaler der Romantik „gestalteten“ und idealisierten Landschaften mit dem Ziel, Empfindungen und Stimmungen auszudrücken. Dies hatte zur Folge, dass man sich vom realen Erscheinungsbild der abgebildeten Motive deutlich entfernte.Dies lässt sich sehr anschaulich in den bekannten Bildern der Rheinromantik erkennen, wo die Flanken des Rheintales im doppelten Sinne des Wortes überhöht dargestellt werden und an Randzonen eines Hochgebirges erinnern. Beispiele: Loreleyfelsen von Nikolai von Astudin oder Drachenfels von Charles Heath.
Geradezu spektakuläre Landschaftseindrücke entstanden dadurch, dass mehrere Motivelemente, die sich in der Realität an unterschiedlichen, teilweise weit voneinander entfernten Örtlichkeiten befanden, in einem Gemälde zu einer Phantasie-Landschaft verschmolzen wurden (Kompositlandschaften).
Natur und Landschaften wurden entsprechend der Idealvorstellungen „in Szene gesetzt“, wobei auch landschaftsfremde Architekturelemente mit einbezogen wurden. Die für das Lebensgefühl der Romantik charakteristische Vergangenheitssehnsucht führte dazu, dass in den Darstellungen der idealisierten Landschaften häufig Ruinen als supplementäre Motivelemente Verwendung fanden. Als charakteristisches Beispiel sei hier das Gemälde „Abtei im Eichwald“ von Caspar David Friedrich genannt.
Landschaftsgärten
Die in der Romantik entstandenen Vorstellungen und
Auffassungen mussten nahezu zwangsläufig dazu führen,
dass man sich von der in den Barockgärten verwirklichten Idee
der gezähmten fast „vergewaltigten“ Natur
abwandte.
Ausgehend von England und Schottland entstanden sogenannte Landschaftsgärten, die mit weiten Rasenflächen, unregelmäßig angepflanzten Baumgruppen und nicht mehr mit streng geometrisch angelegten, sondern mit geschwungenen Wegen zur inszenierten Natur wurden. Grundidee dieser gegen Ende des 18. Jh. in England entstandenen Gartenarchitektur war die modellhafte Nachbildung der als Idealbild empfundenen Natur.
Durch weltweite Beziehungen der Britannischen Seefahrernation fanden zunehmend auch fremdländische Gehölze Verwendung, so dass natürlich wirkende Parklandschaften entstanden, die häufig an botanische Gärten erinnern. Insbesondere die Westküste Großbritanniens bot mit seinem milden, ozeanischen Klima (Golfstromeinfluss) beste Voraussetzungen zur Entwicklung und zum Gedeihen derartiger Anpflanzungen.
Das ursprünglich meist an Adelssitzen verwirklichte Konzept des Landschaftsgarten wurde sehr bald vom Großbürgertum übernommen und eroberte unter der Bezeichnung „Englischer Garten“ in zunehmendem Maße auch Kontinentaleuropa.
Zur Inszenierung von Natur in den Landschaftsgärten gehörte auch Wasser, welches als natürlich wirkende Teiche, Seen, Wasserläufe und Wasserfälle implementiert wurde und eben nicht mehr in geometrisch angelegten Becken eingezwängt war oder auch nicht mehr über regelmäßige, geometrisierte Kaskaden plätscherte.
Die in der Malerei der Romantik häufig verwendete Gattung der Kompositlandschaften beeinflusste auch die Gestaltung der Landschaftsgärten. Phantasievolle und zuweilen fremdartig-exotische Architekturelemente, oft auch künstliche Grotten sowie als Ruinen neu errichtete Baukörper wurden in die Gartenanlagen „eingestreut“.
Naturideal der Romantik und Lebensverhältnisse in Stolberg
Die Naturidee der Romantik wurde in ihren Nachwirkungen für den Stolberger Raum in besonderer Weise relevant. Dies bezog sich weniger auf den philosophisch – intellektuellen Ansatz, als vielmehr auf die Bewusstwerdung von Konsequenzen und Problemen, die sich aus der fortschreitenden Industrialisierung ergaben und in zunehmendem Maße evident wurden.
In der ersten Hälfte des 19. Jh. entstand im Bereich Aachen – Stolberg – Eschweiler mit Erz- und Steinkohlebergwerken, mit Eisen-, Blei-, Zink- und Glashütten sowie mit Betrieben der Großchemie ein äußerst diversifizierter Industriegürtel, der als erste Industrielandschaft auf deutschem Boden gelten kann.
Zinkhütte Birkengang, Lithographie
von Adrien Chanelle.
Die aus wirtschaftlicher Sicht durchaus erfolgreiche Industrialisierung hatte jedoch auch ambivalente Züge. Trotz der Errichtung zahlreicher Werkssiedlungen durch die Unternehmen ergaben sich beispielsweise aus der mit der Industrialisierung verbundenen Urbanisierung zum Teil unsägliche Lebens- und Wohnverhältnisse. Während es sich in den Werkssiedlungen mit den angeschlossenen Gärten und den sich bildenden Sozialstrukturen durchaus erträglich leben ließ, entwickelten sich im Bereich der Altstadt und in den mittlerweile zu Wohnanlagen umgebauten, alten Kupferhöfen teilweise Wohnverhältnisse, die noch bis weit ins 20. Jh. an „Slums“ erinnerten.
Der Seifenhof um 1900
Ein weiterer Aspekt der oben angesprochenen Ambivalenz waren die mit der Industrialisierung einhergehenden Umweltbelastungen. Höchst problematisch war beispielsweise das Abrösten der schwefelhaltigen Blei- und Zinkerze. Das hierbei freiwerdende Schwefeldioxid belastete die Umwelt in einem heute kaum vorstellbaren Maße. In der Nähe der sogenannten Rösthütten war das Vorkommen eines grünen Grashalmes schon eine Seltenheit, von Büschen oder Bäumen ganz zu schweigen. Eine gewisse Entspannung der Situation ergab sich durch den Bau des „Langen Heins“, einem gewaltigen Industriekamin an der St. Heinrich-Hütte Münsterbusch.
Letztlich wurde dieses Problem durch Verbesserung der Rösttechnologie gelöst. Das anfallende Schwefeldioxid wurde aufgefangen und zur Herstellung von wertvoller Soda nutzbar gemacht. Dies war eines von vielen Beispielen, die eine geradezu euphorische Fortschrittsgläubigkeit gepaart mit der Überzeugung entstehen ließ, man könne Probleme, die sich aus der großtechnischen Anwendung neuer Verfahren ergaben, mit immer noch neueren Technologien lösen und beherrschen.
Außerdem war das Verhältnis der Menschen zur Natur über Jahrtausende durchaus zwiespältig. Einerseits war man sich immer sehr bewusst, dass die Natur für die essentiellen Lebensgrundlagen sorgte, andererseits jedoch fühlte man sich den Naturgewalten in viel höherem Maße ausgeliefert, als dies heute der Fall ist.
Durch die zerstörerische Umwandlung großer Landschaftsteile im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung musste man auch in den sogenannten bildungsfernen Bevölkerungsschichten die Ambivalenz dieser Entwicklung erkennen. Diese Erkenntnis drückte sich allerdings nicht in Protest, sondern in stiller, introvertierter Sehnsucht nach einer heilen Welt, nach unversehrter Natur aus.
Wandel einer
Landschaft.
Oben: Jan-Ravens-Mühle
am heutigen Mühlener Markt,
Aquarell von G. Dodt nach Walschaple.
Unten: Situation im Bereich Mühle
um 1900 mit der Jordanshütte
im Vordergrund.
Die Sehnsucht nach unversehrter Natur drückte sich nicht nur in den spektakulären Anlagen des Adels und des Großbürgertums aus, sondern auch in den kleinen Arbeitergärten der Werkssiedlungen. Obgleich diese Gartenstücke zur (teilweisen) Abdeckung des täglichen Nahrungsbedarfs gedacht waren, fand man kaum einen Garten, in dem nicht (wie schon seit eh und jeh in den Bauerngärten) eine Blumenecke abgeteilt war.
Diese Tatsache lässt möglicherweise nicht unbedingt den Schluss zu, dass die Vorstellungen der Romantik auch die „einfachen“ Leute erreichten, wohl aber, dass eine gewisse Portion Naturliebe zum Wesen des Menschen gehört.
Landschaftsgärten
im Stolberger Raum
Ähnlich wie es bereits bei der Anlage von
Barockgärten der Fall gewesen war, spielten die
standesbewussten Stolberger Kupfermeister als führende
Gesellschaftsschicht bei der Entstehung lokaler
Landschaftsgärten eine maßgebliche Rolle.
Nach dem Niedergang des Messinggewerbes um die Wende vom 18. zum 19. Jh. gelang es einigen Kupfermeister-Dynastien (insbesondere Prym und Schleicher), ihre Betriebe auf die industrielle Fertigung von Halbzeug und Fertigwaren umzustellen, und damit den wirtschaftlichen Status zu erhalten bzw. auszubauen.
Das 1873 erbaute Messingwerk der Fa.
Schleicher um 1890.
Oberhalb sind die kahlen Höhen des Münsterbusches zu
erkennen.
Bildquelle: Privatarchiv Schleicher.
Das Repräsentationsbedürfnis war gerade im 19. Jh. in großbürgerlichen Kreisen stark ausgeprägt und schlug sich u.a. in der Anlage von Landschaftsgärten nieder. Oberhalb der heutigen Dalli-Werke (Richtung Büsbach), auf dem Gelände des sogenannten Dollgartens entstand bereits 1808 eine Parkanlage im Stil der Englischen Gärten, die von Gustav Prym angelegt wurde.
Kammerbusch
Als bekanntestes Beispiel kann eine Anlage gelten, die
zwischen Heistern und Langerwehe oberhalb Schöntal um 1850 von
Karl Schleicher angelegt wurde. Besagter Karl Schleicher betrieb auf
Gut Schöntal eine Nadelfabrikation. In dieser Parkanlage
befand
sich eine Vielzahl pittoresker, im historisierenden Stil
ausgeführter Bauten, die zwischenzeitlich teilweise renoviert
und teilweise als Ruinen erhalten sind. Hierzu gehören u.a.
die ursprünglich als Gästehaus angelegte und
teilweise als Ruine erhaltene Karlsburg, die Norbertus- u.
Hülsenbergkapelle, der Triumphbogen, der Luluturm sowie der
Hagar-Tempel.
Während das Gelände in früherer Zeit als „Schleichers Wald“ bezeichnet wurde, ist es heute eher unter dem Begriff Kammerbusch bekannt. Das Gelände ist seit 2001 im Besitz der Familie Fourné, die den Landschaftsgarten und Teile der darin befindlichen Bauwerke mittlerweile gründlich restauriert hat.
Triumphbogen im Landschaftsgarten Kammerbusch,
Foto: Norbert Breuer, Langerwehe.
Schleicher-Park
Ein ähnlicher, ebenfalls von der Familie Schleicher
(Emil Schleicher) errichteter Landschaftsgarten entstand um 1900 als
Teil des Untersten Hofes
u.
schloss sich der Hofanlage Richtung Westen (Schlossberg) an. Auch hier
befanden sich neben einem See sowie mehreren
Wasserfällen zahlreiche dekorative
Architekturelemente, welche die malerische Gartenanlage
ergänzten. Die Namensgebung mehrerer Gartenbauelemente lassen
den vaterländischen Zeitgeist der Entstehungsepoche erkennen.
Das nach dem zweiten Weltkrieg errichtete Leonhard-Kreuz ist dem Mirck des Kupfermeisters Leonhard Schleicher nachempfunden.
Quellen: BRECHER, A. (1990) Seite 87
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Texte und Layout:
Friedrich Holtz