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Glasherstellung


Glas in Stolberg

Geschichtlicher Abriss

Kunsthandwerkliche Glasprodukte


Produkte und technische Entwicklungen

Hohlglas

Geblasenes Flachglas, Zylinderglas

Spiegelglas

Nehou-Verfahren

Industrielle Spiegelglas-
herstellung

Rundläufer

Gasfeuerung

Wannenofen

Durchlaufkühlofen (Stracoux)

Bicheroux-Verfahren

Continuous Flow bzw. Boudin-Verfahren

Ornamentglas

Drahtglas

Twin-Verfahren

PC-Anlage

Float-Verfahren


Literatur und Quellen

 

 

 

 

 

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Glas in
Stolberg

Friedrich Holtz

  Bei meinen Recherchen zum Thema Glas fand ich freundliche Unterstützung durch das Museum Zinkhütter Hof, welches mir den Zugang zu seinem umfangreichen Archivmaterial ermöglichte.

Glas ist eine durchscheinende (opake) bis durchsichtige, bei normalen Temperaturbedingungen feste Substanz, die im Normalfall hauptsächlich aus Siliziumdioxid SiO2 besteht. Wichtigster Grundstoff zur Herstellung von Glas ist Quarz(-sand), also ebenfalls ein Siliziumdioxid, welches allerdings, im Gegensatz zum Glas, eine kristalline Struktur aufweist.

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Quarz, als Bergkristall ausgebildet.
Sammlung u. Foto: F. Holtz

Mit anderen Worten: die atomaren Bausteine sind im Falle des Quarzes in geometrisch regelmäßiger Raumverteilung (Kristallgitter) angeordnet. Nach Erreichen bzw. Überschreiten der Schmelztemperatur (Schmelzpunkt) zerfällt das Kristallgitter. Statt der ursprünglich geordneten Struktur bilden die atomaren Bausteine in der Schmelze ein stochastisches, ein unregelmäßiges Verteilungsmuster.

Bei schneller Abkühlung der Schmelze kann dieses unregelmäßige Verteilungsmuster gewissermaßen eingefroren werden, so dass man einen nicht mehr kristallinen, sondern einen sogenannten amorphen Feststoff erhält. Glas kann also auch als unterkühlte, höchst viskose Flüssigkeit gelten. Durch den schnellen Abkühlvorgang, dessen Dauer allerdings durchaus mehrere Stunden erreichen darf, lässt man den atomaren Bausteinen keine Zeit, sich entsprechend der angestammten Kristallgitterstruktur zu orientieren.

Das so entstandenen amorphe Glas hat (im Gegensatz zum kristallinen Quarz) keinen definierten Schmelzpunkt mehr, sondern es wird bei zunehmender Temperatur zunächst weich, dann zähflüssig und verliert bei weiterer Temperaturerhöhung zunehmend an Viskosität. Somit können die Eigenschaften der Glasmasse durch Temperaturänderung den Bedürfnissen der einzelnen Prozessabläufe angepasst werden.

Es gibt jedoch auch Spezialgläser von völlig anderer Zusammensetzung, wie beispielweise Saphirglas A2O3, welches durch Aufschmelzen von meist synthetischem Saphir gewonnen wird und sich durch einen hohen Härtegrad und entsprechender Kratzfestigkeit auszeichnet.

Naturglas
Wenn Quarz durch Naturphänomene extrem aufgeheizt wird, kann Glas sich auch als natürliche Substanz bilden. Größere Massen natürlichen Glases entstehen beispielsweise durch Vulkanismus. Das Vulkanglas, auch Obsidian genannt, findet gelegentlich als Schmuckstein Verwendung. Auf Grund seiner Härte und seiner extrem scharfen Bruchkanten war Obsidian in vorgeschichtlicher Zeit ein begehrter Rohstoff zur Herstellung von Werkzeugen.

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Obsidian
Sammlung u. Foto: F. Holtz

Fernerhin kann das Auftreffen von Meteroiten zu Verglasungen führen, die als Impactgläser oder Tektite bezeichnet werden. Letztlich können bei Blitzeinschlag durch Aufschmelzen von Sand oder Gesteinen unregelmäßig geformte Glasröhren entstehen, die sogenannten Fulgurite.

Glasherstellung
Wie bereits angedeutet, lässt sich Glas durch Aufschmelzen von Quarz(-sand) herstellen. Hierbei ergibt sich allerdings eine in früherer Zeit unüberwindliche und auch heute noch eine nicht einfach zu lösende, technische Schwierigkeit. Der Schmelzpunkt von Quarz liegt bei 1713oC. Eine Weiterverarbeitung dieser sogenannten Quarzgläser erfordert sogar Temperaturen von über 2000oC. Diese Temperaturen sind bei Öfen üblicher Bauart erstens nicht zu erreichen, und zweitens standen Schmelztiegel, die eine entsprechende Temperaturbelastung zuließen, in früherer Zeit nicht zur Verfügung. Auch bei der heutigen Glasherstellung wird dem Quarzsand, wenn normales, also nicht reines Quarzglas hergestellt werden soll, ein sogenanntes Flussmittel zugesetzt. Durch diesen Zuschlagstoff und in Abhängigkeit vom relativen Flussmittelanteil wird der Schmelzpunkt des Gemenges herabgesetzt.

Als Flussmittel fand und findet entweder Pottasche oder Soda Verwendung. Bei der Pottasche handelt es sich um ein Kaliumkarbonat und bei der Soda um ein Natriumkarbonat. Gläser können somit je nach Art des verwendeten Flussmittels als Kalium- oder Natriumglas eingeordnet werden. Für Kaliumglas ist auch die Bezeichnung Waldglas üblich.

Durch den Zuschlag von Flussmitteln ergibt sich jedoch auch eine gewisse Wasserlöslichkeit des Glases, die zur Herstellung von Wasserglas (wässrige Glaslösung) genutzt wird. Da eine Wasserlöslichkeit des Glases normalerweise natürlich nicht erwünscht ist, werden dem Gemenge sogenannte Stabilisatoren in Form von kohlesaurem Kalk (Kalkstein) oder Dolomit als Gesteinsmehl zugesetzt.

Durch Metalloxide, die dem Gemenge beigemischt werden, entsteht eine Einfärbung des Glases, wobei Farbton und Intensität von der Art und Menge der zugesetzten Metalloxide abhängen.

Eine Sonderrolle spielt hierbei das Bleioxid, welches zum "Entfärben" des Glases verwendet wird und den für Normalglas typischen, durch geringen Eisenoxidgehalt im Gemenge hervorgerufenen Grünstich eliminiert.

Durch den Zusatz von Bleioxid lassen sich somit Gläser herstellen, die selbst bei größerer Dicke von wasserklarem Aussehen sind. Dieses sogenannte Bleikristallglas findet zur Herstellung von Trinkgläser, Weinpokalen, Glasschüsseln, Blumenvasen und sonstigen Dekorationsobjekten Verwendung.

Auf Grund seiner höheren Dichte weist Bleikristallglas auch eine höheren Lichtbrechungsindex auf. Dies verleiht dem Glas erstens eine hohe Brillanz und macht es zweitens als Grundstoff zur Herstellung von optischen Linsen, Prismen etc. geeignet.


 

Glas in Stolberg

Geschichtlicher Abriss
Die in Stolberg außerordentlich erfolgreichen Kupfermeister versuchten bereits zur Blütezeit des Messinggewerbes, ihre Unternehmen auf eine breitere, diversifizierte wirtschaftliche Basis zu stellen. So gründete beispielsweise der Kupfermeister Mathias von Asten 1719 in seinem Kupferhof Schart eine Tuchfabrik.

Etwa sechs Jahrzehnte später soll im Bereich der Prattelsackstraße ein nicht näher bekannter Wallone versucht haben, eine Glashütte, vermutlich zur Herstellung von Hohlglas, zu etablieren. Dieser Versuch scheint jedoch, wahrscheinlich aus wirtschaftlichen Gründen, gescheitert zu sein.

Durch diesen, wenn auch fehlgeschlagenen Versuch haben die kapitalkräftigen Kupfermeister möglicherweise die Chance erkannt, in Stolberg eine lukrative Glasindustrie zu gründen. Die Standortgegebenheiten mit sowohl Quarzsand- als auch Steinkohlelagerstätten sowie die mächtigen Kalkstein- bzw. Dolomitformationen, boten jedenfalls beste und vielversprechende Voraussetzungen für ein derartiges Unterfangen.

Ergiebige lokale Sandgruben befanden sich beispielsweise zwischen Atsch und Eilendorf. Auch waren die Lagerstätten von Nivelstein bei Herzogenrath, wo qualitativ höchstwertiger Sand (SiO2-Gehalt von über 99 %) abgebaut wurde, in erreichbarer Nähe. Obwohl der Sand aus den Stolberger Gruben als Gemengesand (Schmelzsand) weniger begehrt war, spielte dieser (nicht ganz so hochwertige Sand) bei der Spiegelglasherstellung als Schleifsand eine bedeutende Rolle. In den Spiegelglashütten wurde in Relation zum Schmelzsand etwa die doppelte Menge Schleifsand benötigt.

Letztlich entstanden in Stolberg insgesamt 11 Glashütten. Auch heute ist am Standort Schnorrenfeld noch eine moderne Floatglashütte der Firma St. Gobain in Betrieb.

Eine gewisse Konzentration des Glasgewerbes und auch der Metallhütten ergab sich für den nordwestlichen Bereich des heutigen Stadtgebietes in den Ortsteilen Münsterbusch und Atsch. Dies dürfte erstens daran gelegen haben, dass in unmittelbarer Nähe Steinkohle abgebaut wurde, die fast ohne Transportaufwand zum Beheizen der Schmelzöfen eingesetzt werden konnte. Bezüglich der Glashütten bestand zweitens der Vorteil einer guten Erreichbarkeit der wichtigsten Sandlagerstätten.

Ein Konsortium Stolberger Kupfermeister aus den Familien Lynen, Peltzer, Prym und Schleicher gründete 1790 eine Glashütte im Hammerfeld, die sie Johannishütte nannten. In der Anfangszeit konzentrierte sich die Johannishütte auf die Herstellung von Hohlglas, insbesondere auf die Produktion von geblasenen Flaschen, Flakons und Trinkgläsern.

Ebenfalls in den frühen 1790er Jahren entstanden im Prattelsack zwei weitere Glashütten, die auch wieder von einem Kupfermeister, nämlich Nikolaus Schleicher gegründet wurden. Eine dieser Hütten wurde entsprechend des Vornamens ihres Gründers Nikolaushütte genannt. Beide Hütten (Nikolaus- und Prattelsackhütte) gehörten offenbar zusammen und bildeten eine Betriebseinheit.

Bereits nach zwei Jahren mussten die Kupfermeister ihre Glasproduktion in der Johannishütte auf Grund technischer Schwierigkeiten aufgeben. Diese Schwierigkeiten bestanden in der Hauptsachen darin, die zur Glasproduktion erforderlichen Glashäfen in befriedigender Qualität herzustellen und mit diesen Glashäfen wirtschaftlich vertretbare Standzeiten zu erzielen. 

Unmittelbar nach Aufgabe durch die Kupfermeister wurde die Johannishütte 1792 von der Familie Siegwart übernommen, die, aus St. Blasien im Schwarzwald stammend, seit Generationen im Glasgewerbe tätig war und über entsprechende Erfahrung verfügte. Der nach Stolberg zugewanderte Familienzweig bestand ursprünglich aus den Brüdern Peter und Josef Siegwart sowie deren Schwager Franz Josef Schmidt, die nach Übernahme der Johannishütte unter dem Namen Gebr. Siegwart, Schmidt & Co. firmierten.

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Johannishütte

Die Familie, fast möchte man sagen die Dynastie Siegwart war nicht nur in der Johannishütte erfolgreich, sondern prägte und dominierte über mehr als ein Jahrhundert die Entwicklung der Stolberger Glasindustrie.

Letztendlich wurden im Stolberger Raum in mehr als zehn Glashütten stark unterschiedlicher Größe Glaswaren aller Art hergestellt. In vielen Fällen sind allerdings die Namen der kleineren Glashütten heute kaum mehr bekannt. So wird beispielsweise der Hof Sonnental in sehr viel höherem Maße mit dem ursprünglichen Kupferhof als mit der später hier ansässigen Glashütte der Firma Schuh & Gräff assoziiert.

1835 errichtete James Cockerill in unmittelbarer Nähe seiner Steinkohlegrube (James-Grube) eine Glashütte, die er an Peter Krings verpachtete. Ebenfalls in den 1830er Jahren entstand im gleichen Bereich eine Fensterglashütte, der heutige Zinkhütter Hof.

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Ehemalige Glashütte Zinkhütter Hof.
Foto: F. Holtz

Diese Anlage gehörte zur Societé de Charleroi und arbeitete nach dem Zylinderglasverfahren. Um 1850 wurde der Betrieb von der neu gegründeten Aachener Spiegelmanufaktur übernommen und wesentlich erweitert. Zu dieser Erweiterung dürfte u.a. die Errichtung des dem Hauptbetriebsgebäude (heutiges Museum) gegenüber liegenden, langgestreckten Gebäudes, den späteren Arbeiterhäusern gewesen sein. Nach heutigem Kenntnisstand hat sich in diesem Gebäude ursprünglich die Potterie (Anlage zur Herstellung von Glashäfen) befunden.

Von sehr viel größerer Bedeutung war jedoch der Bau einer neuen Spiegelglashütte, im Bereich der heutigen Straße "An der Kesselschmiede". Diese Hütte arbeitete erstmals in Deutschland mit einer voll mechanisierten Schleif- u. Polieranlage.

Obwohl sich dieses Unternehmen "Spiegelmanufaktur" nannte, entsprachen insbesondere die weitgehend mechanisierten Schleif- u. Poliermethoden eigentlich nicht mehr dem klassischen Manufakturprinzip, sondern wiesen bereits typische Kennzeichen industrieller Fertigungsmethoden auf.

Die fertig geschliffenen Gläser wurden zunächst in Aachen verspiegelt (Belegerei).

Gleichzeitig mit dieser Hütte entstand auf dem "Schafberg" eine großzügig angelegte Werkssiedlung für Mitarbeiter des Unternehmens, die aus insgesamt 37 Häusern bestand. Der Kernbereich dieser Wohnanlage ist in der Nähe des Glashütter Weihers als denkmalgeschütztes Bauensemble erhalten.

1857 verpachtete die Aachener Spiegelmanufaktur die gesamte Produktionsanlage an die Aktiengesellschaft St. Gobain. Kurz nachdem St. Gobain die Hütte 1863 gekauft hatte, wurden die Aktivitäten dieses Werkes nach u. nach ins Stolberger Tal zum Schnorrenfeld verlegt, weil dort, im Gegensatz zum Standort Münsterbusch, Wasser zum Schleifen des Glases in ausreichender Menge zur Verfügung stand.

Dieses Werk im Schnorrenfeld blieb als einziger Glashüttenstandort in Stolberg erhalten.

Zwischenzeitlich hatte Peter Krings 1845 im ehemaligen Kupferhof Jordan eine Glashütte, die Jordanshütte, eingerichtet. Diese entwickelte sich zu einer der größten Hohlglashütten in Stolberg.

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Jordanshütte um 1900

Die Stolberger Glashüttengesellschaft Emil Raabe &Co. begann 1860 mit dem Bau der Fensterglashütte Schneidmühle. Diese Hütte gelangte nach mehrmaligem Besitzerwechsel in den Besitz der Aktiengesellschaft GLASHÜTTE VORM. GEBR. SIEGWART & CO.

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In der Velau entstand 1910 die Nadelglasfabrik GmbH., welche ausschließlich Glasstangen zur Herstellung von Glaskopfnadeln in vielen unterschiedlichen Farben produzierte. Diese Hütte wurde 1921 von den Rheinischen Nadelfabriken übernommen, die den Betrieb an ihrem Standort in Aachen weiterführten.

Quellen: GLASNECK, U. u. FUCHS, R.(2008) Seiten 87-100

 

Kunsthandwerkliche Glasprodukte
In den meisten Glashütten war es den dort tätigen Glasbläsern gestattet, in ihrer Freizeit kunsthandwerkliche Glasobjekte für den Eigenbedarf herzustellen. Dies lag durchaus auch im Interesse der Hüttenbetriebe, da durch diese Tätigkeit Können und Geschicklichkeit der Mitarbeiter gefördert wurden.

Torburgmuseum: Kelchglas,
Foto: R. Fuchs.
So entstanden in den Stolberger Hütten Glaskugeln, Briefbeschwerer (heute Paper Weights genannt), Glashunde, Glastrompeten, Spazierstöcke aus Glas, Millefiori-Arbeiten u.v.a.m. Eine Auswahl dieser Kuriositäten, die heute begehrte Sammelstücke sind, wird im Torburgmuseum ausgestellt.

Ein weiteres und seltenes Beispiel für Stolberger Glasprodukte sind die Fenster an der Nordseite der St. Lucia Kirche. Diese in Anlehnung an den Nazarenerstil gestalteten Scheiben wurden 1891 in der Johannishütte hergestellt.

Um die Mitte des 19. Jh. begann man jedoch auch mit der kommerziellen Herstellung von geschliffenem Kristallglas für den gehobenen Bedarf, wie beispielsweise Trinkgläser, Weinpokale und Kristallschüsseln. 1852 richtete die Johannishütte eine mit Dampfkessel und Dampfmaschine ausgerüstete Kristallglas-Schleiferei ein. Gegen Ende des 19. Jh. erfreute sich insbesondere farbiges, geschliffenes Kristallglas, welches dem Repräsentationsbedürfnis des Großbürgertums in besonderer Weise entsprach, wachsender Beliebtheit.


 

 

Produkte und technische Entwicklungen

Hohlglas
Obwohl in Stolberg, und manchmal sogar in einer singulären Hütte, eine breite Palette von Glaswaren hergestellt wurde, hatte, neben der Herstellung von Flaschen aller Art (siehe auch Mundblasverfahren), die Produktion von Flakons eine quantitativ herausragende Bedeutung und kann in gewisser Weise als Stolberger Spezialität gelten.

Die Flakons wurden hauptsächlich nach Köln geliefert, wo sie u.a. bei der Abfüllung des berühmten "Eau de Cologne" Verwendung fanden. Nachdem der Kölner Duftwasserhersteller Mülhens 1822 die Kropfflasche (auch Molanus-Flasche genannt) als Standardflakon für "4711 Echt Kölnisch Wasser einführte, wurde auch dieser Flakontyp in den Stolberger Glashütten in Großserie hergestellt. Benannt ist diese Flakonform nach seinem Erfinder, dem Parfümdestillateur Peter Heinrich Molanus.

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Molanus-Flasche
Foto: R. Fuchs.

Quellen: GLASNECK, U. u. FUCHS, R.(2008) Seite 98

 

Geblasenes Flachglas, Zylinderglas
Ein weiteres und bedeutendes Segment in der Stolberger Glasproduktion war die Herstellung von Flachglas. In den Flachglashütten, wie beispielsweise in der Fabrikationshalle des heutigen Zinkhütter Hofes, wurden Glasscheiben aus großen, geblasenen Hohlzylindern (im Prinzip also aus Hohlglas) hergestellt. Hieraus erklärt sich der Umstand, dass Flachglashütten häufig auch großvolumige Hohlgläser wie beispielsweise Ballonflaschen lieferten.

Zur Flachglasherstellung wurden die Hohlzylinder, nach dem beidseitigen Abtrennen der Kappen, in Längsrichtung aufgeschnitten, so dass durch das Aufklappen des erneut erhitzten, ofenweichen Glaszylinders durch Ausbügeln auf dem sogenannten Streckstein ein Flachglas entstand, das sich anschließend im Streckofen zur ebenen Scheibe ausformte.

Skizze
Prinzip Zylinderglas-Verfahren.
Skizze: F. Holtz

Dieses sogenannte Zylinderglasverfahren stellte bereits die zweite Generation in der technischen Entwicklung der Herstellung von geblasenem Flachglas dar. Die wesentlich ältere Methode, nämlich das Mondglasverfahren, fand in den Stolberger Glasshütten keine Anwendung mehr.

Durch die weiche, fast flüssige Konsistenz der Glasmasse entstand beim Blasen der Zylinder eine nahezu ideal glatte Oberfläche, die sogenannte, für geblasene Gläser typische Feuerpolitur. Trotz dieser Feuerpolitur waren die so hergestellten Gläser nur bedingt planparallel. Durch partiell unterschiedliche Abkühlbedingungen (z.B. leichter Windzug beim Blasen der Hohlzylinder) und/oder durch Inhomogenitäten in der Schmelze konnten sich innerhalb einer Scheibe geringfügige Dickenabweichungen ergeben.

Beim Durchdringen von Licht durch die Scheibe beeinflussen diese Unregelmäßigkeiten die Brechung des Lichtes, so dass die Lichtstrahlen beim Durchgang durch die Scheibe unterschiedlich abgelenkt werden. Objekte, die sich jenseits der Scheibe befinden, werden vom Betrachter mehr oder weniger stark verzerrt wahrgenommen.

Bei Fensterglas spielte dieses Phänomen eine nur untergeordnete Rolle, da auftretende Verzerrungen die Hauptfunktion einer Scheibe, nämlich Lichtdurchlässigkeit nicht beeinträchtigte.

Bei Spiegeln jedoch, deren Hauptfunktion darin bestand, ein möglichst genaues Abbild ihres Gegenübers zu liefern, waren Verzerrungen natürlich höchst störend und ärgerlich. Verzerrungsfreie Spiegel ließen sich nur unter Verwendung absolut planparalleler Scheiben herstellen. Alle Unregelmäßigkeiten in der Scheibengeometrie mussten also zunächst durch Abschleifen beseitigt werden. Hierbei ging natürlich die an der Oberfläche immanent entstandene Feuerpolitur verloren und die fertig geschliffene Scheibe musste anschließend mechanisch poliert werden.

Auch für nicht verspiegelte Gläser, die nach diesem Verfahren hergestellt waren, setzte sich als Qualitätsbegriff der Ausdruck Spiegelglas durch.


 

Spiegelglas

Bis zum Spätmittelalter fanden ausschließlich polierte Metallplatten bzw. -bleche als Spiegel Verwendung. Die im 14. Jh. von den Venezianern auf der Insel Murano hergestellten Glasspiegel waren von bis dahin ungeahnter Brillanz und lieferten eine kaum für möglich gehaltene Farbechtheit des Spiegelbildes.

Glasspiegel wurden zum nahezu unerschwinglichen Luxusgut, welches sich nur reiche Fürsten- und Königshäuser leisten konnten. Dies lag u.a. daran, dass das Schleifen einer Spiegelglasscheibe extrem aufwändig war. Eine Scheibe in Spiegelglasqualität von 2 m2 erforderte etwa zwei Monate Schleifarbeit. Zusätzlich hierzu nahm das Polieren zwei weitere Wochen in Anspruch.

Zum Schleifen wurden zwei unbehandelte Rohglasscheiben in einem Gipsbett fixiert, eine der beiden auf der sogenannten Schleifbank und die zweite auf einem beweglichen Rahmen. Unter Zugabe einer Sandschlämme wurden beide Scheiben aufeinander gelegt und durch Hin- und Herbewegen des Rahmens geschliffen, wobei jeweils eine Seite der beiden Gläser gleichzeitig behandelt wurden. Mehrere Schleifgänge mit zunehmend feinkörniger werdendem Sand ergaben letztlich polierfähige Oberflächen.

Durch strengste Geheimhaltung gelang es den Venezianern, über etwa 300 Jahre den Markt monopolartig zu beherrschen.

Die Prachtentfaltung des Barocks führte im 17. und 18. Jh. zu einer verstärkten Nachfrage nach Muranoglas sowie insbesondere auch nach Glasspiegeln. Großflächige Spiegel waren so exorbitant teuer, dass selbst der Sonnenkönig Ludwig XIV. mit der Finanzierung des Spiegelsaales in seinem Schlossneubau von Versailles offenbar überfordert gewesen ist. Seinem Minister Jean-Babtiste Colbert, der u.a. als Begründer des Merkantilismus gilt, gelang es, venezianische Glasmacher 1655 unter abenteuerlichen Umständen von Murano nach Paris zu bringen. Im gleichen Jahr gründete man die Manufacture Royale des Glaces de Miroirs (Königliche Spiegelglasmanufaktur), so dass zunächst die für die Ausgestaltung des Spiegelsaales benötigten Spiegel im eigenen Unternehmen hergestellt werden konnten.

Wenig später wurde dieser Betrieb nach Saint Gobain, einer Ortschaft in der nordfranzösischen Provinz Picardie, verlegt.

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Jean-Babtiste Colbert, Jubiläumsmedaille
300 Jahre St. Gobain.
Foto: F. Holtz

 

Nehou-Verfahren
Nach der Verlegung dieser Manufaktur nach Saint Gobain entwickelte der Hüttendirektor Louis Lucas de Nehou um 1688 das sogenannte Tischwalzverfahren (auch Tischguss genannt). Bei dieser Methode wurde die Glasschmelze auf einen Eisentisch gegossen und mittels einer schweren Holzrolle ausgewalzt, wobei die Walze über zwei seitlich ausgelegte Leisten identischer Stärke abrollte. Mit diesem Verfahren war es möglich, erheblich größere Scheiben herzustellen.

Skizze
Skizze: F. Holtz

Die Entwicklung des Tischwalzmethode basierte gewissermaßen auf eine schon zu archaischer Zeit bekannte Prozedur zur Flachglasherstellung, die Glasgussverfahren genannt wurde.

Das von Nehou entwickelte Verfahren fand im Prinzip bis etwa 1920 als Standardmethode zur Herstellung von Spiegelglas Anwendung, erfuhr allerdings im Laufe der Zeit erhebliche konstruktive Verbesserungen.


 

 

Industrielle Spiegelglasherstellung

Natürlich wurde auch die Glasherstellung von der in der ersten Hälfte des 19. Jh. einsetzenden Industrialisierung und dem allgemein zu beobachtenden Trend einer zunehmenden Mechanisierung der Arbeitsabläufe erfasst. In der Nähe von Charleroi entstand 1836 mit der Manufacture des Glaces de Sainte Marie d'Oignies eine mit neuester Technik ausgerüstete Spiegelglashütte, die als weltweit erste industriell betriebene Anlage zur Spiegelglasherstellung gelten kann.

Nach gleichem Muster baute die Aachener Spiegelmanufaktur um 1850 in der Nähe des heutigen Zinkhütter Hofs eine Anlage, die in der Lokalterminologie als Spiegelglashütte Münsterbusch bezeichnet wird u. Ende 1853 in Betrieb ging.

Auch diese Hütte arbeitete nach dem Nehou-Verfahren, das hier allerdings in großtechnisch ausgelegter Version zum Einsatz kam. Durch zwischenzeitlich erzielte Fortschritte im Maschinen- u. Anlagenbau ließen sich Maßhaltigkeit und Oberflächengüte der verwendeten Bauteile (Gießtisch, Walze und Leisten) erheblich verbessern und somit eine reproduzierbare Herstellung von Scheiben guter Planität gewährleisteten. Hierdurch konnte die anschließend erforderliche Schleifarbeit wesentlich reduziert und vereinfacht werden.

Mit diesem Verfahren ließen sich auch Scheibengrößen realisieren, die mit dem Zylinderglas-Verfahren nicht herzustellen waren. Dies wurde im beginnenden 20. Jh. mit der Errichtung von großen Kaufhäusern sowie Verwaltungsgebäuden mit entsprechend großflächigen Schaufenstern bzw. Glasfassaden (teilweise in Spiegelglas-Qualität) von zunehmender Bedeutung.

Die dampfgetriebenen Schleif- und Poliermaschinen arbeiteten zunächst noch nach dem Prinzip des manuellen Schleifens, d.h.: mit mechanisierten Hin- und Herbewegungen der entsprechenden Maschinenteile. Die vom manuellen Schleifen übernommene Hin- und Herbewegung wurde im Laufe der weiteren Entwicklung durch die energetisch günstigere Rotationsbewegung abgelöst.

Wie bereits erwähnt, wurde der Hüttenstandort nach der Übernahme durch St. Gobain ins Stolberger Tal verlegt, da hier Schleifwasser in ausreichender Menge zur Verfügung stand.

Rundläufer
Am neuen Standort der St. Gobain Spiegelglashütte im Schnorrenfeld gingen 1892 die ersten Rundläufer in Betrieb, die aus Rundläufertischen und Schleif- bzw. Polierapparaten bestanden. Mit Hilfe eines Gipsbettes fixiert man das Glas zunächst auf einem der Rundläufertische. Zur Erzielung einer guten Haftung wurden die aufgelegten Scheiben von Arbeitern in Holzschuhen in das Gipsbett "eingetanzt".

Der Durchmesser eines Rundläufertisches betrug ca. 11 m und konnte mit etwa 75 m2 Glasscheiben belegt werden.

Die eigentlichen Schleif- bzw. Polierapparate bestanden aus einer senkrecht angeordneten Antriebswelle mit daran hängenden Schleif- bzw. Polierkronen. An der Unterseite waren die Kronen entweder mit Schleiftellern aus Grauguss, den sogenannten Ferrassen, oder mit filzbespannten Poliertellern bestückt.

Nach dem Bestücken mit Rohglas fuhr man den Rundläufertisch über Schienen zu einem Schleifapparat, wo der Tisch zentrisch unterhalb der Schleifkrone positioniert wurde. Während Rundläufertisch und Schleifkrone gegenläufig zueinander rotierten, wurde unter Zugabe einer Sandschlämme und durch das Absenken der Schleifkrone der Schleifvorgang gestartet. Ähnlich wie beim manuellen Schleifen ergaben sich nach mehreren Schleifgängen mit zunehmend feinkörniger werdendem Sand letztlich polierfähige Oberflächen.

Abschließend fuhr der Rundläufertisch zu einem Polierapparat, wo auf ganz ähnliche Weise, diesmal allerdings unter Zugabe von Poliermittel statt Schleifsand, die Scheiben poliert wurden. Alsdann wurden die einseitig fertig polierten Scheiben vom Rundläufertisch vorsichtig gelöst, gewendet, erneut fixiert und der ganze Vorgang zum Schleifen und Polieren der zweiten Scheibenseite nochmals durchlaufen.

Gasfeuerung
Als gegen Ende des 18. Jh. Holz zunehmend knapp u. teuer wurde, musste man notgedrungen auch zur Beheizung der Glasöfen Kohle verwenden. Der Einsatz von Kohle führte jedoch zu technischen Schwierigkeiten, da (insbesondere bei Verwendung von stark schwefelhaltiger, minderwertiger Kohle) das Glas durch die schwefelhaltigen Flammgase verunreinigt wurde. Daher ging man mehr und mehr dazu über, die Glasöfen mit Generatorgas zu beheizen. Diese Technik setzte sich in den 1860er Jahren auch in den Stolberg Glashütten durch.

In den sogenannten Gasgeneratoren erzeugte man durch unvollkommende Verbrennung von Kohle Kohlenmonoxidgas, welches über Kanäle den Öfen zugeführt wurde, wo es unter Zugabe von Luftsauerstoff verbrennt. Bei dieser Methode ließen sich auch billige Brennstoffe minderer Qualität nutzen, da, unabhängig vom eingesetzten Brennmaterial, nunmehr nur das entstandene Kohlenmonoxidgas zum Ofen gelangte. So war es beispielsweise auch möglich, die Gasgeneratoren mit regional verfügbaren, vergleichsweise preiswerten Braunkohlebriketts zu beschicken. Obschon man später Schweröl zur Beheizung der Öfen einsetzte, waren in Stolberg bis etwa 1965 noch einige Öfen zur Ornamentglasherstellung in Betrieb, die über Gasgeneratoren mit Braunkohlebriketts beheizt wurden.

Zusammen mit der Gasfeuerung konnte in den 1860er Jahren bezüglich der Ofentechnik durch Anwendung des Regenerativprinzips zur Vorwärmung der Heizmedien (Gas und Brennluft) eine weitere und entscheidende Verbesserung erreicht werden. In Kombination mit der Gasfeuerung reduzierte sich hierdurch der Einsatz von Brennstoff um 25-30%.

Fernerhin ließen sich mit diesem Verfahren höhere Temperaturen und somit deutlich kürzere Schmelzzeiten erzielen, wodurch sich eine erhebliche Produktivitätssteigerung der Anlagen ergab.

Wannenofen
Mit einsetzender Industrialisierung lässt sich nicht nur ein allgemeiner Trend zur Mechanisierung von Arbeitsgängen, sondern ebenfalls eine deutliche Tendenz zu kontinuierlichen Prozess- und Fertigungsabläufen beobachten.

Die Gasfeuerung begünstigte eine weitere Entwicklung in der Ofentechnik, die als entscheidende Voraussetzung zur kontinuierlichen Spiegelglasherstellung gelten muss. Im letzten Viertel des 19. Jh. begann man, die bis dahin üblichen Hafenöfen durch sogenannte Wannenöfen zu ersetzen. In Stolberg ging der erste Wannenofen 1888 in der Glashütte am Schnorrenfeld in Betrieb.

Bei diesem Ofentyp ist der unterer Teil als trogförmige Konstruktion aus feuerfestem Material (der sogenannten Wanne) ausgebildet und dient gewissermaßen als großer Tiegel für die aufgeschmolzene Glasmasse. Die Wanne wird überdacht von einem etwas höher angesetzten, ebenfalls aus feuerfesten Steinen gemauerten Gewölbe. Dem oberen Teil des Ofens (zwischen Wanne und Gewölbe) wird Generatorengas ( in späterer Zeit auch vorgewärmtes, zerstäubtes Schweröl) sowie Brennluft zugeführt, so dass die durch den Ofenraum streichenden Flammgase den Ofen aufheizen. Im Gegensatz zu den Hafenöfen werden moderne Glaswannen von einer Seite kontinuierlich mit Gemenge beschickt. Nach dem Aufschmelzen des Gemenges tritt die Glasmasse an der gegenüber liegenden Seite der Wanne aus und wird ebenfalls kontinuierlich weiterverarbeitet.

Zunächst wird die aus dem Gemenge entstehende Glasmasse im sogenannten Läuterbereich der Wanne so stark erhitzt, dass eine relativ dünnflüssige Schmelze entsteht, wodurch ein Entweichen von Luft- und Gaseinschlüssen aus der Schmelze gewährleistet wird. Im sich anschließenden Arbeitsbereich der Wanne wird die Temperatur so eingestellt, dass sich eine Konsistenz der Glasmasse ergibt, die eine Weiterverarbeitung des Glases erlaubt.

Im Gegensatz zu den Glasöfen, die mit Häfen bestückt waren, lässt sich bei diesem Verfahren nur noch einfarbiges, im Normalfall farbloses Glas herstellen. Zur Herstellung von Buntglas kommen normalerweise sogenannte Tageswannen zum Einsatz.

Durchlaufkühlofen (Stracoux)
Ein weiterer u. wichtiger Schritt zur vollkontinuierlichen Flachglasherstellung wurde gegen Ende des 19. Jh. durch die Entwicklung des sogenannten Stracoux erreicht. Hierbei handelt es sich um einen Durchlaufkühlofen in Gestalt eines langen Kühlkanals, der vom abzukühlenden Glasband kontinuierlich durchlaufen wird.

Die langsame u. gleichmäßige Abkühlung, die in den klassischen Kühlöfen durch den zeitlichen Temperaturverlauf gewährleistet war, wird hierbei durch den kontrollierten Aufbau eines in Glaslaufrichtung abfallenden Temperaturprofils realisiert. Das Temperaturniveau im Eingangsbereich wird gegebenenfalls durch Zusatzbeheizung auf etwa 600oC angehoben, dann aber in Glaslaufrichtung stetig abgesenkt.

Beim Durchlauf durch den Stracoux wird das im Eingangsbereich noch nicht ganz formstabile Glasband stetig gestreckt, damit ein Durchhang zwischen den Stütz- bzw. Antriebsrollen vermieden wird.

Bicheroux-Verfahren
Mit dem weiter oben beschriebenen Tischwalzverfahren nach Nehou ließen sich nur Rohgläser von relativ großer Dicke (ab etwa 11 mm aufwärts) herstellen. Wollte man dünneres Spiegelglas herstellen, mussten die Scheiben mit hohem Zeit- und Energieaufwand entsprechend abgeschliffen werden.

Max Bicheroux, der damalige technische Leiter der Spiegelglashütte Herzogenrath, hatte die visionäre Idee, ofenweiches Glas müsse bei entsprechender maschinentechnischer Ausrüstung zu dünneren Scheiben ausgewalzt werden können. Zusammen mit seinem Oberingenieur Lambert von Reis entwickelte er diese Idee bis 1919 zur technischen Reife.

Hierbei wurde die Glasschmelze aus den Häfen zwischen ein Walzenpaar gegossen. Das von den Walzen kontinuierlich ausgeformte Glasband wurde auf Stahltischen, die sich mit entsprechender Geschwindigkeit unterhalb des Walzenpaares bewegten, abgelegt, dort zu Scheiben geschnitten und zum Kühlofen transportiert.

Skizze
Skizze: F. Holtz

Continuous Flow bzw. Boudin-Verfahren
Mit dem Bicheroux -Verfahren und den zwischenzeitlich entwickelten Wannenöfen waren alle Voraussetzungen für eine vollkontinuierliche Rohglasfertigung gegeben. Dieser Schritt wurden in den 1920er Jahren von zwei Firmen nahezu gleichzeitig und offenbar unabhängig voneinander vollzogen. Das von Pilkington Brothers Ltd. in Zusammenarbeit mit der Ford Motor Company eingeführte Verfahren wurde von seinen Entwicklern Continuous Flow genannt und St. Gobain bezeichnete die dort entstandene Entwicklung als "System continu" oder Boudin-Verfahren.

Die aus dem Wannenofen ausfließende Schmelze wurde hierbei direkt einem gekühlten Walzenpaar zugeleitet, welches ein endloses Glasband ausformte. Nach dem Passieren eines Kühlofens konnte das Glas geschnitten und auf den Rundläufertischen geschliffen werden.

Skizze
Skizze: F. Holtz

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Wannenauslauf mit Glaswalze. (Glashütte Stolberg um 1960)

In Stolberg ging am Hüttenstandort Schorrenfeld 1929 die erste vollkontinuierlich arbeitende Spiegelglaslinie in Betrieb.

Ornamentglas
Durch den Einsatz von gravierten Walzen, die während des Formgebungsprozesses das gravierte Muster als Oberflächenstruktur in das durchlaufende Glasband einprägten, entsteht das sogenannte Ornamentglas. Dieses Glas wird vorwiegend dort eingesetzt, wo statt verzerrungsfreier Durchsichtigkeit nur Lichtdurchlässigkeit gewünscht wird.

Eine Abart dieses Prinzips fand in Stolberg zur Herstellung von Wellglas Anwendung. Hierbei wurde das noch zähflüssige Glas nicht durch ein Walzenpaar ausgeformt, sondern über eine quer zur Glaslaufrichtung gewellte Graphitunterlage gezogen. In den Wellentälern rollte je eine Kugel ab, die zwar frei rotieren konnte, von einer Vorrichtung jedoch in Position gehalten wurde und sich somit nicht mit dem Glasband fortbewegte. Durch die Schwerkraft der rotierenden Kugeln wurde ein Anschmiegen des Glases an die Kontur der Graphitunterlage erreicht.

Skizze
Prinzip Wellglasherstellung
Skizze: F. Holtz

Drahtglas
Beim Auswalzen des Glases war es zur Drahtglasherstellung auch möglich, eine Anzahl von in Walzrichtung parallel verlaufenden Drahtfäden (Chauvelglas) bzw. ein weitmaschiges Drahtnetz zusammen mit dem ofenweichen Glas durch den Walzenspalt zu führen. Der kontinuierlich zugeführte Draht wurde hierbei in die ausgewalzte Glasmasse, also in die Glasscheibe eingebettet. Beim Bruch der Scheibe sorgte der Draht dafür, dass die Scherben der geborstenen Scheibe zusammengehalten wurden.

Ornamentglas, Wellglas und ungeschliffenes Drahtglas wurde im Stolberger VEGLA-Werk bis etwa 1965 in drei Produktionslinien hergestellt. Geschliffenes Chauvelglas in Spiegelglasqualität stellte man noch bis zur Umstellung auf das Float-Verfahren im Jahr 1973 her.

Twin-Verfahren
Ein weiterer, ganz entscheidender Schritt zur vollkontinuierlichen Spiegelglasherstellung gelang zu Anfang der 1930er Jahre der Firma Pilkington mit der Entwicklung des Twin-Verfahrens, mit dessen Hilfe das endlose Glasband von beiden Seiten gleichzeitig geschliffen werden konnte.

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Glasband zwischen Kühlofen und Twin-Anlage.
Glashütte Stolberg um 1960

Bei diesem Verfahren bewegte sich das endlose Glasband zwischen gegenläufig rotierenden Schleiftellern, welche die obere und untere Oberfläche des Glasbandes gleichzeitig bearbeiteten. Jedes einzelne Element einer derartigen Schleifanlage bestand aus zwei gusseisernen Schleiftellern, die exakt übereinander angeordnet waren und das dazwischen liegende, sich fortbewegende Glas kontinuierlich bearbeiteten.

Die gusseisernen Schleifteller, auch Ferrassen genannt, waren mit radial verlaufenden, geschwungenen Nuten versehen, durch welche sich ein Gemisch aus Wasser und Schleifsand über die gesamte, kreisförmige Schleiffläche verteilen ließ.

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Ferrasse im Einggangsbereich zum
Forum Zikkhütter Hof, Foto: Birgit Engelen

Da jedes dieser Schleifelemente aus zwei identischen Ferrassen und zwei identischen Antriebseinheiten, also gewissermaßen aus einem Zwillingspaar bestand, war es naheliegend diese Elemente Twin zu nennen, wobei sich dieser Begriff auch als Bezeichnung für die Gesamtanlage durchsetzte. Zumindest in Stolberg wurde dieser Ausdruck mit langgezogenem "i" wie Twien ausgesprochen.

Die Vielzahl der hintereinander angeordneten Schleifelemente wurde mit zunehmend feinkörniger werdendem Schleifsand beschickt, so dass sich letztlich eine polierfähige Oberfläche ergab.

Die Ferrassen der beiden im Stolberger VEGLA-Werk installierten Twin-Anlagen hatten einen Durchmesser von 3,60 m und bearbeiteten ein Glasband von etwa 3,50 m Breite.

PC-Anlage
In den beiden Spiegelglaslinien des Stolberger VEGLA-Werkes wurde das Glasband nach dem Schleifen zu großen Einzelscheiben geschnitten und in der semi-kontinuierlich arbeitenden PC-Anlage poliert (die beiden Buchstaben PC stehen für polieren und kontinuierlich).

Die großformatigen Scheiben wurden auf schweren, mit Filztuch bespannten Stahltischen platziert und mit rotierenden Filzscheiben zunächst einseitig poliert. Die Stahltische bildeten, auf Schienen geführt, eine endlose Bandstraße, die ein kontinuierliches Polieren der darauf liegenden Scheiben mittels einer Vielzahl von hintereinander angeordneten Poliereinheiten erlaubte. Nach dem Wenden der Scheiben wurde nach dem gleichen Verfahren auch die zweite Seite der Scheiben behandelt.

Als Poliermittel fand das sogenannte Pariser Rot, ein feinstkörniges Eisenoxid Verwendung. Das intensiv dunkelrote Eisenoxid (auch Potee genannt) wurde, mir Wasser aufgeschlämmt, den einzelnen, mit Filzscheiben ausgerüsteten Polierelementen zugeführt. Das Eisenoxid, welches u.a. auch als Farbpigment Verwendung findet, färbte die gesamte Polierhalle, einschließlich der dort tätigen Mitarbeiter intensiv rot ein.

Die beim Polierprozess anfallenden, ebenfalls roten Rückstände wurden zusammen mit Schleifrückständen aus der Twin-Anlage in Absetzbecken sedimentiert bzw. deponiert und finden sich als Altlasten an vielen Stellen im nördlichen Bereich von Stolberg.

Die letzte nach dem klassischen Verfahren arbeitende Stolberger Spiegelglaslinie, welche als eine der weltweit größten und modernsten Anlagen galt, wurde 1973 durch eine neu errichtete Floatglasanlage ersetzt.

Float-Verfahren
Das Float-Verfahren wurde in den späten 1950er Jahren unter der Leitung von Sir Alastair Pilkington entwickelt und setzte sich weltweit als Standardverfahren für die Flachglas- und insbesondere Spiegelglasproduktion durch. Der Hauptvorteil dieser Produktionsmethode besteht darin, dass sie den kostenintensiven Schleif- bzw. Poliervorgang gänzlich entbehrlich macht.

Bei dieser Produktionsmethode wird das aus der Wanne austretende Glas über ein mit flüssigem Zinn gefülltes Bad geführt, wo die Glasmasse auf der Zinnoberfläche aufschwimmt und als endloses Glasband abgezogen werden kann. Eine entsprechende Temperaturführung sorgt dafür, dass das abgezogene Glas nicht mehr flüssig, sondern durch Abkühlung auf etwa 600oC vor dem Verlassen des Zinkbades eine formstabile Konsistenz erreicht.

Da unter dem Einfluss der Schwerkraft alle Flüssigkeiten (in diesem Fall also sowohl Zinnbad als auch die Oberseite des aufschwimmenden Glases) ideal ebene Oberflächen ausbilden, sind die Oberflächen der Ober- und Unterseite des abgezogenen Glases ebenfalls perfekt ausgebildet, und das so hergestellte Glas erreicht ohne nachfolgenden Schleif- bzw. Poliervorgang eine Qualität, die dem Spiegelglas entspricht.

Skizze
Skizze: F. Holtz

Im Bereich des Zinnbades, der sogenannten Floatkammer, sorgt eine Atmosphäre aus Stickstoff und Wasserstoff (auch Formiergas genannt) dafür, dass die heiße Zinnschmelze nicht oxidiert. Das Metall Zinn wird deshalb verwendet, weil seine relativ hohe Dichte ein Schwimmen des Glases auf der Metalloberfläche gewährleistet, weil es bei Temperaturen um 1000 oC noch nicht mit dem Glas reagiert, bei der Temperatur von 600 oC, mit der das Glas die Floatkammer verlässt, noch flüssig ist und letztlich weil der Dampfdruck des Zinns relativ niedrig ist.


 

Literatur und Quellen

Benden P. (2007): Historische Entwicklung der Flachglasindustrie im Aachener Grenzraum, in: DGG-Jahrestagung 2007.

Garke, K.H. (1977): Stolberg und die Glasindustrie, insbesondere die "Stolberger Spiegelmanufaktur" von Saint Gobain. Unveröffentlichtes Manuskript.

Glasneck U. u. Fuchs R.(2008): Glasindustrie in Stolberg, in: Festschrift 25 Jahre Museum in der Torburg, Förderverein Heimat- und Handwerksmuseum Stolberg.

Glocker W. u. Gerheuser R.(2007): Flachglas, Band 3 der Reihe Glastechnik, Deutsches Museum.

Jungels F. u. Penkert R. (1988): Glasproduktion gestern und heute. Herausgeber: Vereinigte Glaswerke.

MÖLLER, H. (2001): Saint-Gobain in Deutschland. Von 1853 bis zur Gegenwart. Geschichte eines europäischen Unternehmens, C. H. Beck Verlag München.

Parent, T. u. Goes, G. (2006): Glashüttenarbeit, Bilder aus dem Westfälischen Industriemuseum und dem Museum Baruther Glashütte. Herausgeber: Westfälisches Industriemuseum, Landschaftsverband Westfalen-Lippe.

Schreiber K. und H. (2008): Im Schatten des langen Hein. Vom Werden eines Stolberger Stadtteils zur Zeit der Industrialisierung. Beiträge zur Stolberger Geschichte, Band 28, Stolberger Heimat- und Geschichtsverein.

Schröder P. (1922): Die Stolberger Glasindustrie und ihre Entwicklung, Dissertation Köln.

 

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Foto: R. Fuchs