Alphabet der Heimatkunde
Unterwegs in Stolberg:
Die Oberstadt,
von der Schart
zum Grünenthal.
Die Unterstadt, vom Untersten Hof zum Rosental.
Hört Ihr Leut und lasst Euch sagen...
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Hört Ihr Leut und
lasst Euch sagen...
Mit dem Nachtwächter unterwegs in Stolberg.
Das anheimelnde Flair der Stolberger Altstadt mit ihren engen Gassen und malerischen Winkeln wird in besonderer Weise spürbar, wenn man zusammen mit dem Nachtwächter bei einbrechender Dämmerung ins Dunkel der Nacht und in die Geheimnisse der jüngeren und ferneren Vergangenheit abtaucht. Von besonderem Reiz ist auch der Übergang von der Neustadt mit ihrer großzügigen und repräsentativen Gründerzeitarchitektur zur eigentlichen Altstadt, die mit ihren stillen Gassen, der verschachtelten Bauweise und den steilen Stiegen gerade in der heutigen Zeit ein Gefühl von Geborgenheit vermittelt.
Startpunkt der Nachtwächtertour ist entweder der Willy-Brandt-Platz oder der Kaiserplatz, der als Mittelpunkt der Stolberger Neustadt gelten kann. Während des Spaziergangs durch Stolbergs Vergangenheit wird eine Fülle von Geschichten erzählt, die informativ, manchmal auch gruselig oder lustig, immer aber unterhaltend sind. Als Appetizer ist nachfolgend auch eine kleine Auswahl dieser Geschichten zu finden, die unterwegs an authentischen Orten erzählt werden.
Während im 16., 17. und 18. Jh. das vorindustrielle Messinggewerbe der Kupfermeister das Wirtschaftsleben im Stolberger Tal dominierte, entwickelte sich insbesondere im zweiten Viertel des 19. Jh. mit der einsetzenden Industrialisierung eine stark diversifizierte Wirtschaftsstruktur. Neben der traditionellen Messing- und Metallverarbeitung mit entsprechenden Metallhütten entstanden beispielsweise Betriebe der Textil- und Glashüttenindustrie, die sich teilweise im heutigen Stadtkerngebiet befanden.
Ehemalige Glashütte Zinkhütter Hof |
Zinkhuette Birkengang, Lithographie von Adrien Chanelle. |
Dieser Industriekomplex war Teil eines Industriegürtels, der sich von Aachen über Stolberg bis Eschweiler erstreckte und in der Tat als erste Industrielandschaft auf deutschen Boden gelten kann. Mitten in diesem Industriegürtel und mitten in den Abbaufeldern für Erze und Kohle lag der Ort Stolberg. Trotz seiner geographisch zentralen Lage war der alte Ortskern mit seinen engen Gassen und der mittlerweile verfallenen Burg als Mittelpunkt einer aufstrebenden Industrieregion wenig geeignet.
Kaiserplatz
Nun hatte man allerdings 1840 mitten auf freiem Feld, ganz in der
Nähe des Kupferhofes Grünenthal das stattliche, heute
noch bestehende Rathausgebäude
errichtet.
Rückblickend muss man sagen, dass dies ein weiser Entschluss
gewesen ist, denn ohne diesen Rathausbau hieße es heute
möglicherweise Stolberg bei Büsbach und nicht
Büsbach bei Stolberg. Ganz offensichtlich nämlich
bildete das neue Rathaus einen Kristallisationspunkt für die
weitere Ortsentwicklung bzw. für die Fortentwicklung der 1856
gebildeten Stadt Stolberg.
Altes Rathaus
Die durchaus beachtliche Wirtschaftskraft der Region ließ bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts einen neuen, attraktiven und zeitgemäßen Stadtkern entstehen. Direkt vor dem Rathaus wurde der großzügig gestaltete Kaiserplatz angelegt, umrahmt von den prächtigen Gebäuden der früheren preußischen Hauptpost, des alten Gymnasiums sowie des ehemaligen Amtsgerichtes. Das gesamte Bauensemble des Kaiserplatzes spiegelt mit dem für den Historismus charakteristischen Stilpluralismus den damaligen Zeitgeschmack in eindrucksvoller Weise wider.
Interessanterweise ist das 1906 in neoklassizistischem Stil erbaute Gymnasium das imposanteste Bauwerk des Gesamtensembles. Selbst das alte Amtsgericht mit dem anschließenden Gefängnistrakt wirkt vergleichsweise beschaulich, jedenfalls deutlich weniger beeindruckend als der wuchtige Baukörper des Gymnasiums. Man kann sich gut vorstellen, wie klein, unbedeutend und beklommen sich ein 10-jähriger Schüler fühlen musste, wenn er das übermächtig wirkende Schulgebäude betrat. Aber genau dieser Effekt war gewollt, war Grundidee der damaligen Auffassung von Pädagogik.
Hof Sonnental
Unabhängig davon, ob man den direkten Weg zur Altstadt durch
die Grünthalstraße nimmt oder noch einen kleinen
Schlenker durch den Steinweg einschiebt, in beiden Fällen
sieht man noch einige Beispiele der für die Neustadt typischen
Gründerzeitarchitektur. Mit Erreichen der
Enkereistraße beginnt dann plötzlich und
unvermittelt das unverwechselbare Flair der Stolberger Altstadt.
Der je nach Wetterlage rauschende oder manchmal nur dahinplätschernde Vichtbach und der in unmittelbarer Nachbarschaft gelegene Kupferhof Sonnental erinnern an das frühere Messinggewerbe, welches die Wasserkraft der Vicht als unabdingbare Ressource nutzte.
Von diesem Hof Sonnental und dem in nur wenigen Minuten fußläufig erreichbaren Hof Grünenthal wird folgende Geschichte erzählt:
„Ein Hammerknecht wurde von seinem Herrn, dem Kupfermeister auf Sonnental, zu einem Botengang nach Grünenthal geschickt. Unterwegs traf er eine Bettlerin, die in Wirklichkeit eine Hexe war. Der Bitte um eine milde Gabe entzog sich der Bursche mit dem wahrheitsgemäßen Hinweis, er habe selber nichts.
Als er weiterging, rief die Hexe ihm nach, er solle sich nur plagen, es sei ein weiter Weg nach Grünenthal. Und wirklich, der Weg nahm gar kein Ende. Auch kannte er sich gar nicht mehr aus und meinte, in einer ganz fremden Gegend zu sein, lief und mattete sich ab und ward ganz in Schweiß gebadet.
Kurz vor Erreichen des Grünenthals stand die Hexe vor ihm und lachte ihn aus. Er hatte für eine Strecke von 10 Minuten volle drei Stunden gebraucht.“
Für manche Zuhörer stellt sich hierbei die Frage, ob nicht zwischen Sonnen- und Grünenthal eine Kneipe gelegen haben könnte. Für den fraglichen Zeithorizont lässt sich eine Kneipe ausschließen; allerdings wissen wir nicht, wie alt die Hexe gewesen ist.
Enkerei
Im weiteren Verlauf der Enkereistraße stand früher
ein kleines Häuschen, welches Lauch (Loch) genannt wurde. In
diesem Haus soll ein kleiner Junge gewohnt haben, der in der
Pfarrkirche St. Lucia regelmäßig die Messe diente.
Hier soll sich die folgende Geschichte zugetragen haben:
Eines Morgens ging der Kleine auch wieder früh zur Kirche. Da begegnete ihm auf der Katzhecke ein steinaltes Mütterlein, das an einem Krückstock mühsam daherhumpelte. „Wat beß de at frösch opp!“ redete die Alte, die dem Kleinen gänzlich unbekannt war, diesen an. „Ja, ich moß en de Kerch john.“ „Wat deeste dann att esu frösch en de Kerch?“ „De Meß deene.“ „Dat es brav,“ lobte die Alte den Kleinen und klopfte ihm auf die Schulter. Dann gingen beide ihres Weges.
In der Kirche wurde der Knabe aber über und über mit Läusen bedeckt, so dass er vom Altar aus nach Hause gehen musste. Eine Nachbarsfrau kannte folgendes Mittel: Die Kleider des Knaben mussten verbrannt, die Asche sorgfältig gesammelt und begraben werden. Dann mussten die Leute beten. Man folgte dem Rate.
Als unten am Mühlteich das Feuer die Kleider des unglücklichen Knaben verzehrte, traf oben am Fuße der Treppe, die von der Straße in den Hof führte, ein altes Weib mit dem Krückstock ein, welches gespannt nach dem Feuer um die Ecke lauerte. Es erkundigte sich bei der Magd, was das Feuer bedeute. Die Magd erzählte, worauf die alte Hexe „Hm, datt hött ihr nett dohn solle!“ brummte und sich entfernte. Der verhexte Knabe jedoch war erlöst.
Klatterstraße
Mit dem Einbiegen von der Enkerei- in die Klatterstraße
erreicht man die frühere
Hauptgeschäftsstraße von Stolberg. Man muss sich
vorstellen, dass sich hier im 19. Jh. Geschäft an
Geschäft reihte. Ob Bäcker, Fleischer oder
Lebensmittelhändler, ob Schneider oder Schuster, alles war
vorhanden und stellte den alltäglichen Bedarf sicher. Meist
verbunden mit einem Schwätzchen (manchmal wohl auch mit
Getratsche) wurde der tägliche Einkauf erledigt.
Es wird nun erzählt, dass einige Kupfermeister nach einer Feier im Hammerfeld (opp de Huus) zu nachtschlafender Zeit und in guter Stimmung durch die Klatterstraße nach Hause gegangen sind. Beim Passieren des besagten Gasthauses verspürte die lustige Gesellschaft Lust auf einen Absacker und verlangte vor der geschlossenen Kneipe lautstark und ausgelassen nach „Halv un Halv“. Nach kurzer Zeit öffnete sich im Obergeschoss ein Fenster und es ergoss sich ein Kübel Flüssigkeit auf die Straße; begleitet von den Worten: „He hadd’er Halv un Halv, halv va mich un halv va ming Frau“.
Irgendwo in dem Bereich, wo der Treppenaufgang zum Luciaweg von der Klatterstraße abzweigt, hat zu Anfang des 20. Jh. eine junge Frau mit Namen Katharina Rimus, genannt Rimusse Tring gewohnt. Nachdem die Mutter früh verstorben war, bereitete Rimusse Tring jeden Morgen das Mittagessen. Da der Vater in Unterstolberg oder in der Atsch arbeitete, wurde das von Tring vorbereitete Essen jeden Mittag von Ihrem Bruder „änn et Mittche“ zum Vater gebracht.
Eines guten Tages jedoch meinte der Bruder: „Wees’de änns wat Tring, ich hann hüh kenn Loß, ich bräng d’r Papp nätt et Eiße.“ „Dann äss avver jett loss,“ erwiderte Tring, „ich verzäll dat d’r Papp“. Sie ging auch tatsächlich zum Vater und berichtete ihm, der Bruder habe sich geweigert, ihm das Essen zu bringen. Sie nahm aber nicht etwa das Essen für ihren Vater mit, sondern beschwerte sich nur über ihren Bruder.
Besagte Katharina Rimus kann als echtes Stolberger Original gelten und sorgte zu Anfang des 20. Jh. in Stolberg reichlich für Gesprächstoff.
Wie eingangs erwähnt, wäre noch ganz viel zu erzählen,
bevor der Nachtwächter sich mit guten Wünschen verabschiedet.
Hört
Ihr Leut und lasst Euch sagen, vom Turm die Glock hat Zwölf geschlagen. Zwölf das ist das Ziel der Zeit, Mensch bedenk die Ewigkeit. Der Herr im hohen Himmel wacht, habt alle eine gute Nacht. |
----- Text: Friedrich Holtz, Fotos: Axel Pfaff -----
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Zeichnung:
R. Prößl.