Alphabet der Heimatkunde
Inhaltsverzeichnis:
Kurzübersicht Frühindustrialisierung
Technische Entwicklungen in der Stolberger Zinkindustrie
Sodaherstellung und Chemische Fabrik Rhenania
Menschen, Technik und Sozialgefüge
Literatur- und Quellenverzeichnis
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Die Röstöfen, die Hasenclever um 1850 zu entwickeln begann und die in den chemischen Fabriken "Rhenania" später weiter perfektioniert wurden, hatten im Prinzip drei Funktionen zu erfüllen:
Die erste dieser drei Funktionen (Umwandlung nach Zinkoxyd) wurde ganz zu Anfang schon erfüllt und war deshalb besonders wichtig, weil nur hierdurch der Erztyp Schalenblende einer Verhüttung zugänglich gemacht werden konnte. Die Entwicklung und der Einsatz derartiger Röstöfen war bei den hier vorliegenden Lagerstättenverhältnissen sicherlich folgerichtig, möglicherweise sogar naheliegend, aber eben doch nicht ganz so selbstverständlich. Diese Entwicklung muss vielmehr als technische Pionierleistung gesehen werden und war in Verbindung mit der daraus folgenden Blendeverhüttung eine europäische Premiere. Eigentlich sogar stellte die großtechnische Anwendung dieses Verfahrens eine Weltpremiere dar, die hier in Stolberg stattgefunden hat.
Rösten und Umwelt
Bezüglich der Umweltfolgen gab es dann eine weitere Premiere,
die dazu führte, dass Bäume und Sträucher in
der
Gegend dieser Industrieanlagen zur Seltenheit wurden. Wie damals
üblich (und teilweise wohl auch heute noch), war die
bloße
Machbarkeit in Verbindung mit dem offensichtlichen Bedarf Grund
genug, ein neues Verfahren einzuführen, auch wenn die
Konsequenzen
nicht abzusehen waren. Allerdings war man damals, zu einer Zeit
euphorischer Fortschrittsgläubigkeit noch guten Mutes, die
durch neue Technologien entstandenen Probleme mit wiederum noch
neueren Techniken lösen zu können; eine Rechnung, die
(wie wir heute eigentlich wissen müssten) nie so ganz
aufzugehen
scheint. Dieser Problemkreis allerdings gehört eher zum
zweiten
Punkt der drei oben aufgezählten Funktionen, die letztlich
von den Röstöfen zu erfüllen waren.
Zum ersten Punkt, der Umwandlung der Blende, wäre noch zu erwähnen, dass die Erze vor dem Rösten gemahlen werden mussten, da nur bei entsprechend kleinen Korngrößen ein vollständiger Umsatz zu erreichen war. Aus dem gleichen Grund musste das Röstgut im Ofen möglichst weitflächig in Form einer Schicht von geringer Schüttdicke verteilt werden. Zusätzlich war ein mehrfaches Umlagern und Auflockern des Röstgutes erforderlich, damit der Luftsauerstoff jedes Korn der gemahlenen Blende ungehindert erreichen konnte. Das Umlagern und Auflockern musste vorerst mit beträchtlichem Kraftaufwand von Hand vorgenommen werden. Derartige Öfen wurden auch Handöfen genannt, im Gegensatz zu den späteren mechanischen Öfen, wo diese Funktion dann bereits mechanisiert war.
Ein weiter Unterschied bei den Röstofentypen kann aus der Führung der Flammgase abgeleitet werden. Zunächst kamen zum Abrösten der Schalenblende so genannte Flamm- oder Streichöfen zum Einsatz. Bei diesem Ofentyp wurde das Röstgut von den Flammgasen direkt aufgeheizt, wobei die heißen Gase über die schichtförmig ausgestreute Blende hinwegströmten (entlangstreichen konnten) und zu dieser Blende direkten Kontakt hatten.
Im Ofeninnern vermischten sich bei diesem Streichofentyp die freiwerdenden Röstgase mit den Flammgasen. Das Schwefeldioxyd konnte nachher nicht wieder abgetrennt werden, entwich ungenutzt ins Freie und belastete die Umwelt in geradezu katastrophaler Weise. Es ist kaum zu glauben, aber die Gewichtsmenge des bei der Erzaufbereitung entstehenden Schwefeldioxyds war fast genau so hoch, wie das Metallgewicht, das man aus der gerösteten Erzmenge erschmelzen konnte.
Betrachtet man die entsprechenden Volummina, so entstand bei der Blendeverhüttung fast 3000 mal mehr Schwefeldioxyd als Zink. Es würde möglicherweise einzuwenden sein, dass sich das gasförmige Schwefeldioxyd nicht als zusammenhängende Wolke halten konnte und sich recht schnell im Luftraum verteilte. Aber genau hierin bestand das eigentliche Problem. Halbwegs unbedenklich wurde die ganze Geschichte nämlich erst dann, wenn durch die Verteilung und durch die Verdünnung mit der Außenluft tolerierbare Konzentrationen erreicht waren. Hierzu mussten sich vorher zwangsläufigerweise in entsprechend großen Luftmengen und über entsprechend weiten Flächen Konzentrationen einstellen, die trotz der bereits stattgefundenen Verdünnung immer noch in hohem Maße schädlich waren. Aus dem Schwefeldioxyd bildete sich in Verbindung mit der Luftfeuchtigkeit Schwefelsäure, die sich am Boden niederschlug und eben nicht nur in unmittelbarer Nachbarschaft der Rösthütten schwere und schwerste Vegetationsschäden hervorrief. Es ist wohl kaum nötig zu erwähnen, dass durch diese Luftkontaminierung auch die Gesundheit und das Wohlbefinden der Menschen ganz erheblich beeinträchtigt wurden.
Wenn man also die beim Rösten entstehenden Schwefeldioxyd-Gase später nicht wieder von den Verbrennungsgasen trennen konnte, wie das bei den zunächst üblichen Flammöfen der Fall war, lag es natürlicherweise nahe, dafür zu sorgen, dass sich die verwertbaren Röstgase gar nicht erst mit den Flammgasen vermischten. Man musste also einen Röstraum schaffen, der vom Feuerraum vollständig getrennt war und sich durch die Rauchgase möglichst gut beheizen ließ. Dies wurde durch den Einsatz von geschlossenen Muffeln erreicht, in welchen das Röstgut nunmehr indirekt aufgeheizt wurde. Damit die im Röstraum freigesetzten Schwefeldioxyd- Gase gesammelt und abgeführt werden konnten, waren die einzelnen Muffeln untereinander verbunden.
Im Ofeninnern wurden die Muffeln zur Erzielung möglichst effektiver Wärmeausnutzung so angeordnet, dass die heißen Flammgase die Oberflächen der Muffeln allseitig umströmen konnten. Die einzelnen Entwicklungsstufen dieses Ofentypes sind mit den Begriffen Hasenclever- Ofen und Hasenclever-Helbig-Ofen belegt.
Die seit ungefähr 1855 zur Verfügung stehenden Röstöfen waren von ihrer Funktion her durchaus geeignet, wirtschaftlich lohnende Schwefeldioxyd- Mengen zur Gewinnung von Schwefelsäure nutzbar zu machen (Bleikammeranlagen). Und diese Schwefelsäure wiederum fand auch sofort schon zur Produktion von Soda Verwendung; denn das war ja zunächst eigentliches Ziel der Entwicklung gewesen. Theoretisch hätte sich durch die Produktion von Schwefelsäure natürlich auch eine deutliche Entspannung der Umweltsituation ergeben müssen, da der Teil des Schwefeldioxyds, der durch die Säureherstellung gebunden wurde, nicht mehr in die Atmosphäre gelangte.
In Wirklichkeit jedoch konnte von einer Entspannung überhaupt keine Rede sein, da auf Grund der steigenden Zinkproduktion die Menge der abzuröstenden Blende ebenfalls ständig stieg, und die Röstgase nur zum Teil nutzbar (unschädlich) gemacht werden konnten. Die Gesamtzinkproduktion hat sich in Stolberg zwischen 1850 und 1880 versechsfacht, wobei zu berücksichtigen ist, dass fast nur noch die schwefelhaltige Zinkblende und eben kaum noch Galmei zur Verhüttung gelangte.
Und so kam es denn, wie es kommen musste; 1860 bereits sah sich die Zinkindustrie gezwungen, mehrere Prozesse wegen Vegetationsschäden durch Hüttengase zu führen und Entschädigungszahlungen zu leisten. Während der gesamten 1860-er und 70-er Jahre wurden von der Land- und Forstwirtschaft immer wieder erhebliche Ausgleichszahlungen für Vegetationsschäden gefordert, die zum Teil 'freiwillig' (d.h. zur Vermeidung von gerichtlichen Auseinandersetzungen) geleistet wurden. Offensichtlich sah man kaum Chancen, Entschädigungsklagen erfolgreich abweisen zu können und sicherlich befürchtete man auch, dass eine Vielzahl verlorener Prozesse die Auflagen der Aufsichtsbehörden (Bergamt und Gewerbeaufsicht) noch verschärfen könnte.
Eine gewisse Abhilfe versprach man sich auch von einem schon 1857 geplanten Industrieschornstein (gemeint ist hier der "Lange Hein" an der St. Heinrichshütte Münsterbusch), der auf Grund seiner außergewöhnlichen Höhe eine direkte Einwirkung der schädlichen Industriegase auf die nähere Umgebung verhindern sollte. Eigentlich müsste auch damals schon klar gewesen sein, dass derartige Maßnahmen mit Schadstoffvermeidung überhaupt nichts zu tun hatten. Aber möglicherweise war es zu jener Zeit tatsächlich noch nicht vorstellbar, dass die gewaltige Schöpfung, die man seit je her als übermächtig, unbeeinflussbar und als unendlich empfunden hatte, dass diese Schöpfung in ihrer Gesamtheit durch Aktivitäten des Menschen hätte beeinträchtigt werden können.
Zinkhütte Münsterbusch, im Vordergrund der Lange Hein. |
Der Ortsteil Münsterbusch, überragt vom Langen Hein. |
Obschon die Hüttengase ohne jeden Zweifel auch für die Menschen gesundheitsgefährdend waren, und diese Tatsache wohl auch damals bekannt gewesen sein muss, ist es interessanterweise offenbar nie zu einem Prozess wegen Gesundheitsschädigung gekommen. Hieraus kann man natürlich kaum schließen, dass die Abgase tatsächlich nicht zu Erkrankungen geführt haben. Selbst wenn jemand einen solchen Prozess angestrengt hätte, wäre der Nachweis eines Kausalzusammenhangs im Einzelfall wohl schwerlich zu erbringen gewesen.
Der Rhenania Ofen
Eine endgültige Lösung der Röstgasprobleme
wurde
erst eingeleitet, als die Rhenania 1882 einen modifizierten
Röstofen
baute, der die Röstgase vollständig auffing und
verwertbar
machte. Dieser Ofentyp wurde unter dem Namen 'Rhenania-Ofen' bekannt
und fand mehr als 40 Jahre weltweit zum Abrösten von Zinkblende
Verwendung.
|
Quelle:
Patentschrift von 1892. Archiv Hubert Beckers, Bestand: Nachlass Maria May. |
Der Rhenania-Ofen wurde dann 1922 durch den mechanischen Spirlet- Ofen abgelöst, dessen Hauptvorteil darin bestand, dass deutlich weniger Arbeitskräfte zur Beschickung, Bedienung und Räumung des Röstgutes erforderlich waren.
Es ist ja bereits mehrfach darauf hingewiesen worden, dass technologische Sachzwänge zu einer Verflechtung zwischen Zinkproduktion und chemischer Industrie führten, wobei das beim Röstprozess freiwerdende Schwefeldioxyd als Bindeglied fungierte. Die technologisch begründete Zwangsverflechtung führte im Laufe der Zeit zu unterschiedlichen Organisationsformen und zu fließenden Grenzen bezüglich der Arbeitsteilung. Nachdem die chemische Industrie (zunächst Waldmeisterhütte und später Rhenania) geeignete Röstöfen entwickelt und eine bedarfsgerechte Röstkapazität bereitgestellt hatte, bestand ganz zu Anfang nur die Möglichkeit, die aufbereitete Blende dort gegen Entlohnung rösten zu lassen.
Aber sehr bald schon bauten die Zinkunternehmen auf Grund des ständig steigenden Bedarfs eigene Rösthütten und betrieben die Abröstung der Blende zunehmend in eigener Regie. Die Rhenania errichtete in unmittelbarer Nähe der neuen Rösthütten Schwefelsäurefabriken, wodurch die Arbeitsaufteilung zwar geändert wurde, die gegenseitigen Abhängigkeiten aber natürlich weiter bestanden. Obwohl sich diese Verfahrensweise ganz allgemein durchsetzte, wurde sie von den einzelnen Zinkproduzenten mit unterschiedlicher Konsequenz verfolgt.
Wenn jetzt von mehreren Zinkproduzenten die Rede gewesen ist, die teilweise unterschiedliche Wege bei der Organisation der Röstung beschritten, so wäre es vielleicht hier schon an der Zeit, zumindest die zwei grossen Zinkgesellschaften kurz vorzustellen, die im Stolberger Raum aktiv waren. Weitere Einzelheiten bezüglich der verschiedenen Zinkunternehmen werden später in dem Kapitel abgehandelt, das sich mit der Zinkproduktion beschäftigt.
Die beiden großen Gesellschaften
Die Zinkindustrie in Stolberg und darüber hinaus auch im
westlichen Deutschland wurde von zwei Imperien beherrscht, die
beide in der hiesigen Region ansässig waren. Für
diese
beiden dominanten Zinkunternehmen bürgerten sich die
Kurzbezeichnungen
Stolberger
Gesellschaft und Eschweiler
Gesellschaft ein.
Die Stolberger Gesellschaft hatte ihren Ursprung in der so genannten Metallurgischen Gesellschaft, die 1838 u.a. mit dem Ziel gegründet worden war, Zink- und Bleiprodukte herzustellen und die hierzu erforderlichen Rohstoffe zu erschließen. Unter den Begründern der Metallurgischen Gesellschaft fanden sich so bekannte Namen wie Cockerill, Suermondt, Thyssen und Oppenheim.
Die Eschweiler Gesellschaft entstand aus einem Unternehmensbereich des Eschweiler Bergwerkvereins, der die Zinkhütte Velau übernommen hatte und auf Grund einer Finanzkrise den Geschäftsbereich Zink - Blei 1847 an ein Konsortium verkaufte, aus welchem 1848 wiederum die 'Gesellschaft für Bergbau und Zinkfabrikation in Eschweiler' hervorgegangen ist.
Die Stolberger Gesellschaft hat das Abrösten der Zinkblende in eigenen Rösthütten noch am konsequentesten und durchgängig über lange Zeit betrieben. Im Jahr 1909 übernahm sie sogar die Schwefelsäuregewinnung und schuf somit einen Unternehmensbereich, der direkt der chemischen Industrie zuzuordnen war. Hierzu kaufte man der Rhenania die bestehende Schwefelsäureanlage ab. Der Kaufpreis wurde über Preisnachlässe bei der Belieferung der Verkäufergesellschaft mit Schwefelsäure finanziert.
Dem allgemeinen Trend folgend hatte auch die Eschweiler Gesellschaft begonnen, ihre Blende in eigener Rösthütte aufzubereiten. Nachdem jedoch 1873 eine beträchtliche Entschädigungszahlung wegen Waldentwertung an Eschweiler geleistet werden musste, entschloss man sich, die Zinkblende vorübergehend wieder vollständig von der Rhenania abrösten zu lassen. In den 90-er Jahren wurde dann wiederum ein Teil der Blende von der Rhenania im Lohnauftrag geröstet, da die Zinkproduktion soweit angewachsen war, dass die Kapazität der vorhandenen Rösthütte nicht mehr ausreichte. Dies änderte sich erst wieder, als 1902 eine Erweiterung der Rösthütte abgeschlossen war. Die zu dieser Rösthütte gehörende Schwefelsäurefabrik wurde bis 1922 von der Rhenania betrieben und befand sich auch im Besitz dieser Gesellschaft, obschon die Schwefelsäureanlage sich auf dem Grund und Boden der Eschweiler Gesellschaft befand. 1922 erfolgte die Einstellung des Röstbetriebes und die Reduktionshütte Birkengang erhielt ihre Röstblende von der Zinkhütte Nievenheim, die 1914 erbaut worden war.
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